Gastbeitrag von Prof. Dr. Ralph Sonntag, HTW Dresden.
Der Begriff Selbstreferenzialität entstammt der Systemtheorie. Er beschreibt, wie sich ein System erhalten kann, indem es auf sich selbst Bezug nimmt. Das Prinzip taucht insbesondere im Bereich der Medien und allgemein bei (medialer) Öffentlichkeit häufiger auf:
- Redakteure nutzen sehr intensiv andere Medien und werden dabei von diesen in ihrem Medienschaffen beeinflusst.
- Worüber Menschen sprechen, ist ein Thema für die Medien; die Menschen wiederum kommunizieren über die in den Medien publizierten Themen.
- Blogger bloggen über Blogs.
Selbstreferentialität kann dann dazu führen, dass manche Systeme nach außen fast als geschlossen erscheinen: „Die Blogosphäre liest sich immer stärker und immer ausschließlicher selbst und macht sich selbst zu einem Teufelskreis, den andere antreiben."
Gerade im Bereich des Journalismus wird starke Selbstreferenzialität mit Sorge gesehen, z. B. bei rein gegenseitiger Beobachten der Nachrichtenlage, oder bei einer nur rudimentären Validierung anderswo gefundener Quellen. (Siehe dazu: Beiler (PDF) und Tagesspiegel)
Selbstreferentialität bei viraler Werbung
Manche Virals sind so erfolgreich, dass die ihnen zugrundeliegenden Ideen übernommen oder kopiert werden:
- Bad Day 1995 und Bad Day 2005.
- Spitzenreiter ist hier vermutlich die Geschichte mit dem „Mann und dem Bären“, die ähnlich für John West Salmon, Wendy’s, Smirnoff und Toyota umgesetzt wurde.
Einer meiner Studenten hatte eine Studienarbeit zum Thema Guerilla und vergleichende Werbung angefertigt. In dem Zusammenhang griff er u. a. auch Virals von bzw. über Audi und Fiat auf. Bei den Filmen geht es um das Scheitern von Selbstmordversuchen durch Ersticken an den Abgasen, da die Autoabgase dafür zu schadstoffarm seien (s. hierzu auch „Bild“.)
Zwei Filme sind hierzu gerade im Umlauf -- einer, der von Audi stammt oder zu stammen scheint und ein Making-Of (eventuell) von Fiat, zu dem aber offenbar der eigentliche Spot fehlt.
Eine Recherche des Studenten zur Herkunft der Spots ergab folgendes Bild:
- Auf Nachfrage bei Audi hat er erfahren, dass Audi den Clip nicht erstellt hat. Er solle bei youtube nachfragen.
- Bei youtube sind alle entsprechenden Filme von Audi verschwunden.
- Von Fiat gab es bislang keine Antwort.
- Bei Adland.tv sind weiterhin beide Filme zu finden: Audi, Fiat
Zu diesem ganzen (geplanten?) Verwirrspiel kommt noch hinzu, dass Adland auch auf einen Film von Citroën aus dem Jahr 2002 verweist, in dem diese Idee bereits in einem Clip umgesetzt wurde. Dem Betrachter kommen dabei Parallelen zu Spielfilmen wie "Und täglich grüßt das Murmeltier" in den Sinn, bei denen die Handlung in einer Zeitschleife hängen bleibt. Offenbar stecken manche Ideen und Virals ebenso in einer Zeitschleife fest.
Mittlerweile hat sich das Gesprächsthema von der Schockwirkung der beiden Videos zu einer Diskussion um die Entstehung und Verbreitung der Virals gewandelt. Nicht das Viral an sich, sondern die Geschichten darum verbreiten sich nun. Eine weitere Art Selbstreferenzialität bei Virals. Die Metadiskussion beschäftigt sich nicht mehr mit den Inhalten, dem eigentlichen Kern, sondern mit dem Kontext und den äußeren Gegebenheiten. Somit haben sich Audi und Fiat gemeinsam zu Meta-Virals entwickelt.
Konsequenz für das Marketing?
Für die Marken bedeutet dies, dass bei bestimmten Stoffen nicht mehr die Idee der Spots, also die Marken- oder Produktgeschichte im Mittelpunkt stehen. Vielmehr verlagern sich die Gespräche zunehmend zu einer Diskussion, die auf einer Meta-Ebene die Rolle der Marke als Kommunikator betrifft: Kann sich diese Marke so etwas leisten? Ist es eine List der Marke, die Urheberschaft zu dementieren, obwohl man es doch selbst war? Wenn es die Marke nicht selbst war, wer dann? Steht er in Verbindung zum Unternehmen? Bekommt eine Agentur jetzt Ärger? Oder hat die Marke nun Ärger aufgrund eines Einzeltäters? Ein solcher Zirkel an Gerüchten und Vermutungen hat häufig eine recht lange Haltbarkeit. Insbesondere dann, wenn er durch passende Statements mit neuer Nahrung angereichert wird. Als Markenverantwortlicher kann man an Beispielen dieser Art ablesen, dass es großes Interesse daran gibt, Marken und ihre Rolle im medialen und sozialen Kontext zu diskutieren.
In Zeiten knapper Aufmerksamkeit der Zielgruppen kann dies eine gute Nachricht sein.
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