Hierzulande reden noch immer zu viele Leute endlos über Marketing mit Social Media, aber viel zu wenig wird gemacht. Da ist es dann mehr als aufregend, wenn sich eine echte Geschichte findet, die nachvollziehbar macht, wie man sich auf das Wagnis Web wirklich einlassen kann. Und was passiert, wenn man loslegt, anstatt weiter zu theorisieren: Oliver Baumgart hatte meinen "Twittern ist Bürgerpflicht"-Vortrag gesehen, er meldete sich darauf per Xing bei mir, um mir von seinem Projekt zu erzählen. Und weil es ein echtes Macherprojekt ist, entstand der folgende Gastbeitrag, in dem er selbst schildert, was es mit der Schuhmarke Flaek auf sich hat, die er mit seinem Kollegen Sven Matschinsky derzeit entwickelt. Bittesehr - Lesepflicht, für alle, die immer schon mal wissen wollten, wie das mit dem Social Dings eigentlich geht.
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Abschlussarbeit: flaek footwear
Man hört und liest viel über die Kommunikation von Marken im Web – jedoch selten aus der Position derer, die hinter einem solchen Projekt stehen. In unserer Mediendesign Abschlussarbeit an der DHBW Ravensburg beschäftigten wir uns die letzten drei Monate mit der Entwicklung einer Sneaker Marke – unter Einbezug der Kanäle Weblog, Twitter & Facebook. Diese Beitrag soll als ein kurzer Erfahrungsbericht einen Einblick in unser Projekt und unsere persönlichen Erlebnisse geben.
Unsere Motivation
Als Mediendesigner arbeitet man in der Regel für bestehende Unternehmen, Produkte und Marken. Demnach befindet man sich in der Regel in der externen Rolle des Dienstleisters und kann in dieser Konstellation lediglich beratend Einfluss auf Entscheidungsprozesse ausüben. Da liegt es nahe, sich zu fragen, welche Entscheidung man selbst treffen würde, hätte man die Möglichkeit, eine Marke von Beginn an aufzubauen. Wir dachten uns: wann, wenn nicht jetzt?
Warum ausgerechnet Sneaker? Wir haben beide ein nicht unbeachtliches Interesse an Turnschuhen und bloggen seit mehreren Jahren zum Thema Sneaker. Zwangsläufig beschäftigt man sich als Sneaker-Fan intensiver mit Marken und Produkten als "Normalträger" - und als Designer und Blogger sicherlich noch mal auf anderen Ebenen. Unsere persönliche Kritik an großen Sneaker-Marken, sowohl hinsichtlich ihrer Kommunikationspolitik als auch hinsichtlich Produktdesign, wollten wir mit unserem Projekt in die Tat umsetzen. Anstatt eines abstrakten, unpersönlichen Markenapparates war es unser Ziel, ein persönliches, kleines Sneaker-Label von Sammlern für Sammler zu schaffen – und natürlich unserem persönlichem Traum vom ganz eigenen Sneaker etwas näher zu kommen.
Social-Media-Campaign vs. Ehrlichkeit
Es war von Anfang an klar für uns, unsere Marke nicht im stillen Kämmerchen zu entwickeln. Für den gewohnten Weg in Form von Produktdesign hinter verschlossenen Türen, Marktanalysen und großem Werbe-Spektakel für den Kopfsprung in den Markt war weder Überzeugung, Budget, noch Zeit vorhanden. Wir wollten stattdessen so weiter machen wie bisher: als Sneaker-Fan mit anderen kommunizieren und diskutieren, nur dieses Mal über das eigene Label. Dabei ging es uns weder darum, die nächste offensive Social-Media-Kampagne aufzubauen, noch darum, eine weitere User-Generated-Brand ins Leben zu rufen. Beides hätte sich weder mit unserer persönlichen Überzeugung noch dem Ziel vom "eigenen Sneaker" gedeckt und wäre somit nur eine weitere, unehrliche Marketing-Strategie gewesen.
Wir entschieden uns dafür, unsere Arbeit von Beginn an öffentlich via Weblog auf www.creatingthebrand.de zu dokumentieren und einfach zuzuhören. Der gesamte Prozess, von Namensfindung über Kommunikationskonzept, Produktdesign, Verpackungsgestaltung und Corporate Design konnte zusätzlich über Twitter und Facebook verfolgt werden. Sicherlich stellten wir uns die typischen Fragen, inwieweit eine öffentliche Dokumentation unser Projekt positiv oder negativ beeinflussen würde. Das übliche Pro und Contra zu einem Unternehmensblog eben. Wie geht man mit Kritik um? Wird es überhaupt interessierte Leser und Feedback geben? Läuft man Gefahr, dass die Idee geklaut wird? ... Letztendlich hatten wir aber neben unserem Ruf und unserer Bewertung ja nichts zu verlieren :-)
Wir baten befreundete Sneaker-Sammler und Blogger darum, sich das Projekt anzuschauen und an unserer Online-Umfrage teilzunehmen. Obwohl sich überraschend viele Leute an der Umfrage beteiligten, beschränkte sich die Resonanz auf unser Projekt in Form von Kommentaren jedoch vorerst auf einen kleinen Leser-Kern, hier jedoch umso intensiver. Bis zum 17. Juli 2009 ...
Der erste flaek Sneaker
Am 17. Juli traf das erste Paar unseres Sneakers bei uns ein, das wir von einem Schuhmacher in Oldenburg hatten handfertigen lassen. Wir waren völlig begeistert und das erste, was wir machten: Fotos und rein ins Blog ... worauf das eintraf, was man Mundpropaganda nennt. Uns erreichten Kommentare, Tweets, Facebook-Nachrichten, Emails und nicht zuletzt berichteten unzählige Blogs über das Projekt, national sowie international. Dummerweise zum Großteil über den falschen Markennamen :-). Da wir bis dato das Blog nur auf deutsch betrieben, verwechselten nahezu alle internationalen Blogger den Markennamen mit dem Produktnamen und nannten die Marke "Creating the Brand". Wo große Unternehmen dann Verantwortliche zu suchen und Abmahnungen hageln lassen, hatten wir nun einen Anlass, das Blog endlich umzuziehen und eine Übersetzungs-Funktion (babelfish) einzubauen :-)
Trotz dieses Faux Pas beeinflusste das fast durchweg positive Feedback auf unser Produkt nicht nur unsere persönliche Motivation, sondern prägte von nun an auch wesentlich das gesamte Erscheinungsbild unserer Marke. Feedback und Ideen von Lesern inspirierten unsere Namensgebung gleichermaßen wie unsere Gestaltung. Der Name unseres Schuhs "kaalen hi" (kaalen ist plattdeutsch und bedeutet Kohle) beispielsweise entstand aus der Idee eines Lesers von hypebeast.com, die über uns berichteten. Das Ganze ging soweit, dass wir in Bildmotiven für Plakate und Website unseren Schuh schließlich aus der Perspektive des Trägers fotografierten und anstatt wiederkehrender, nichts-sagender Claims reale Kommentare abbildeten: "pornös, meine herren". Damit wollten wir zeigen, wie wichtig uns die Meinung derer ist, die unser Projekt verfolgten und uns gleichzeitig in dieser Form für das Feedback bedanken. Das persönliche Gespräch wurde über die Markenidentität hinaus zum gestalterischen Leitfaden und prägte nahezu jede Ebene des Gestaltungsprozesses, was für uns als Designer natürlich besonders interessant war.
Sicherlich gab es auch negative Kritik, diese versuchten wir jedoch immer konstruktiv aufzufassen und ehrlich zu beantworten. Wir versuchten JEDES FEEDBACK zu beantworten, jede Mail, jeden Kommentar, jeden Tweet – persönlich und nicht mit einer vorgefertigten Mail, auch wenn dafür andere Sachen liegen bleiben mussten und unser Zeitmanagement deutlich an seine Grenzen kam. Innerhalb von drei Monaten erreichten uns über 350 Nachrichten, Kommentare & Mails, die uns lobten, kritisierten und unterstützten. Sicherlich nicht viel aus der Sicht eines Controllers oder Marketing-Leiters, für uns als vielleicht angehende Nischen-Marke mit Nischen-Produkt jedoch unheimlich wertvoll. Ein Kommentar blieb dabei besonders hängen: jemand bedankte sich bei uns, dass wir ihm seine Frage per Mail beantwortet hatten!?! und ließ sich für zwei Paar des Schuhs vormerken, ohne einen Preis und das endgültige Produkt zu kennen.
Unseren persönlichen "Lernerfolge" aus dem Projekt?
Es geht nicht darum, mit der nächsten, breit angelegten Social-Media-Marketing-Aktion Nutzer wie Viehherden zu Interaktion und User Generated Content zu treiben. Manchmal reicht es aus, ehrlich und persönlich mit Marken- und Produktinteressenten anstatt mit "Zielgruppen" zu sprechen. Sprechen beinhaltet, sich mit dem Gesprächspartner auseinander zu setzen und ihn ernst zu nehmen. Das setzt natürlich voraus, dass man etwas erzählen kann und ein Produkt existiert, das es wert ist, darüber zu sprechen. Es wird so oft gepredigt "Ihr wollt erfolgreicher sein? Macht bessere Produkte!" – unser Projekt hat uns gezeigt, dass es stimmt. Ohne unseren fertigen Schuh in dieser Form wäre die gesamte Arbeit vermutlich im Sand bzw. der Uni-Schublade verlaufen.
Wie es weiter geht mit flaek?
Obwohl wir unsere Arbeit zur Bewertung abgegeben haben, werden wir selbstverständlich an flaek festhalten. Eigentlich geht es ja jetzt erst richtig los. Für uns persönlich ist der Traum einer eigenen Marke in greifbare Nähe gerückt und wir werden versuchen, zumindest eine kleine Auflage produzieren zu lassen. Das sind wir allen schuldig, die uns jetzt drei Monate unterstützt haben.
Wir halten jeden, den es interessiert, auf dem Laufenden: www.flaek.com/blog/
Oliver Baumgart
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Ich habe übrigens sofort mein erstes Paar bestellt. Und hoffe sehr, dass das Projekt weitergeht und richtig Fahrt aufnimmt.
Später schrieb Oliver mir noch, dass dieses Blog hier und auch die Texte von Patrick Breitenbach einflussreich für das Projekt gewesen seien. Das freut mich natürlich. Und Patrick sicher auch. Ich hoffe aber eher noch, dass dieses Projekt vielleicht jetzt für andere einflussreich wird. Und dass sich viele flaek-Schuhe verkaufen.
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