In der 17. Kalenderwoche dieses Jahres (also etwa zwischen dem 21. und dem 25.4.2008) haben ca. 100 Blogger in Deutschland ein eigenartiges Päckchen erhalten: von unbekanntem Absender wurden ein Motorola F3 Handy, eine Zahnbürste sowie ein Nassrasierer verschickt - ein Ensemble, das, sofern kunstvoll abgelichtet, durchaus attraktiv aussehen konnte. Jedes Päckchen trug eine Nummerierung, dabei war außerdem ein Papierzettel, auf dem ein namenloses Logo stand, das wohl Lust und Neugier auf Mehr machen sollte.
Ich selbst habe auch eines der Päckchen bekommen und mich spontan über das Handy gefreut, das ich sehr gut verschenken kann. Natürlich war mir klar, dass es sich um eine Marketingaktion handelt - es wäre ja nicht das erste Mal, dass mittels mysteriöser Pakete an Blogger in Deutschland sogenannte Alternate Reality Games gestartet worden wären: Virtuell-reale Schnitzeljagden, inszeniert von Marken, die sich davon eine involvierte Zielgruppe und Mundpropagandaeffekte erhoffen. Nach anfänglichem großem Interesse an diesem Ansatz habe ich sehr bald das Interesse verloren, aus einem einfachen Grund: die Mundpropaganda, die dabei entsteht, droht allzu leicht weitab vom Produkt zu passieren, um das es beim Marketing doch eigentlich gehen soll. Zum anderen ist die Gefahr häufig groß, dass Enttäuschung entsteht, wenn letztlich bekannt wird, welche Marke hinter der mysteriösen Story steht. Und drittens: das anonyme Zusenden von Paketen ist und bleibt, meiner Ansicht nach, Spam. (Auch wenn das natürlich bei einer Verschickung von Mobiltelefonen recht wertvoller Spam ist.) Und ich finde nicht, dass Marketing ungefragt zur Tür hereinplatzen sollte. (Was allerdings eine Sache ist, die ich durchaus mit den Kollegen bei VM People zu diskutieren bereit bin - denn sie sagen, dass man eben darauf achten muss, nur die Leute anzuschreiben, bei denen sicher von einem Interesse an der Materie ausgegangen werden kann. Sofern das wirklich gelingt, sieht es vielleicht ein wenig anders aus. Außerdem scheint es Kunden zu geben, die durchaus mit den Ergebnissen sehr zufrieden sind.)
Darum habe ich mich in diesem Fall erst einmal zurückgehalten (Ausnahme dieses hier) und die Aktion nur beobachtet. Meine erste recht erstaunte Feststellung: eine zynische Abgeklärtheit kann man angesichts solcher Post in der deutschen Blogosphäre (noch?) nicht konstatieren - die Aktion wurde sofort, intensivst und mit viel Engagement in die Blogs getragen. Das hatte ich nicht erwartet. Also, erstes Zwischenfazit: wenn man ein mysteriöses Päckchen mit relativ wertvollem Inhalt an viele Blogger verschickt, dann wird das in der Blogosphäre wahrgenommen und intensiv diskutiert. Eine gewohnt zornig gebaute Verbindung zum Thema "Alternate Reality Games" inkl. Vermutung, VM People seien's gewesen, weil sie mit solchen Kampagnen schon früher aktiv waren, erschien dann auch recht schnell.
Zeit für die Spekulationen, groß ins Kraut zu schießen, oder gar für die Entwicklung eines Alternate Reality Games, gab es dann aber doch nicht. Gleich in der Folgewoche machte die Auflösung die Runde: es handelte sich um eine Aktion von Tchibo, und zwar sollte mit der Aktion eine neue Crowdsourcing-Plattform namens Tchibo Ideas bekannt gemacht werden. Im Anschreiben dazu hieß es unter anderem:
"Denn eine brandneue Community will den viel zitierten mündigen Verbraucher auf der einen und die Designer und Erfinder auf der anderen Seite in einen Dialog bringen, aus dem sich Produktideen und Verbesserungen entwickeln, die die Menschen wirklich wollen."
Stellt sich nun die Frage: hat das mysteriöse Verschenken von Produkten an Blogger etwas gebracht? Ich wollte zunächst meine persönliche Meinung dazu bloggen, hab dann aber entschieden, lieber mal bei ein paar beteiligten Bloggern nachzufragen. Dabei habe ich hier verlinkte Blogger angeschrieben und per Mail die folgende Frage gestellt:
1. Wirst Du den Lesern Deines Blogs empfehlen, www.tchibo-ideas.de anzusehen oder dort mitzumachen? (JA oder NEIN)
2. Auf einer Skala von 0 - 10, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Du Freunden und Bekannten empfehlen würdest, www.tchibo-ideas.de zu besuchen? (Mit diesen Antworten kann ich den "Net Promoter Score" der Aktion ausrechnen.) (0 = völlig unwahrscheinlich, 10 = extrem wahrscheinlich)
3. Fällt Dir sonst noch etwas zu der Sache ein, was einen Marketingmenschen interessieren sollte?
In Frage 1 wollte ich das tatsächliche Mundpropagandaverhalten abfragen. Frage 2 betrifft - wie beschrieben - den Net Promoter Score, eine Art Benchmark für die Mundpropagandatauglichkeit von Marketingaktivitäten im weitesten Sinne. Und Frage 3 war offen für Anregungen/Anmerkungen.
Von 21 angeschriebenen Bloggern haben sich 12 zurückgemeldet (Naja, Rücklaufquote von 57% - wer hier Kritik daran äußert, dass dies ja nun auf keinen Fall eine
repräsentative Umfrage sei, der hat natürlich recht. Andererseits hat man bei Blogs eher mit weniger als mit mehr Leuten zu tun, und ich wollte halt ein Gespür dafür entwickeln, ob alle denken wie ich - dass das nämlich so nicht richtig funktioniert hat. Und dafür sind auch 12 Antworten schon interessant). Die Antworten sehen wie folgt aus:
1. Wirst Du den Lesern Deines Blogs empfehlen, www.tchibo-ideas.de anzusehen oder dort mitzumachen?
Antworten: 4 x Ja, 8 x Nein. (Hierzu sollte ich noch erwähnen, dass ich zwei Leute als 'Ja' kodiert habe, die angegeben haben, dass sie es sich noch ansehen und dann vermutlich drüber schreiben werden.)
2. Auf einer Skala von 0 - 10, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit,
dass Du Freunden und Bekannten empfehlen würdest, www.tchibo-ideas.de
zu besuchen?
Ergebnis Net Promoter Score: -100 (alle Befragten gelten als Detractors, also als Leute, die eher gegen als für das Projekt sprechen würden. Allerdings ist der NPS kategoriespezifisch und ich habe keine richtigen Benchmarks für die Kategorie 'Webplattformen'. Außerdem muss man wissen, dass die Kodierung in Detractors und Promoters offenbar kulturspezifisch ist, d.h. in den USA gelten alle mit einem Score von 9 oder 10 als Promoters, in Deutschland müsste man das eventuell anpassen.)
Aus der reinen Weiterempfehlungssicht sieht es also - wenn man diese Blogger als typisch für alle angeschriebenen Blogger ansehen kann - nicht so berauschend aus. Nun dazu, was die Teilnehmer zur Frage 3, bezüglich ihrer Empfehlungen die Aktion betreffend, sagen:
Die Mehrheit der Kommentatoren ist sich mit Tom (alias Stoibaer) einig: "Die Marke Tchibo passt imho auch nicht zur Grundidee dieser Plattform. Ich werde daher keinen weiteren Beitrag schreiben." Und Jochen Mai meint: "Solche Aktionen machen nur Sinn, wenn sie zum Blog passen." Insgesamt wird deutlich, dass man solche Aktionen also offenbar nur machen sollten, wenn sie einerseits wirklich gut zur Marke passen, und andererseits, wenn man sich auch nur an Blogger wendet, bei denen man nach ausführlicher Lektüre der aktellen Interessen auch wirklich davon ausgehen kann, dass sie sich für das Thema interessieren. Cem geht noch einen Schritt weiter und fordert, dass die Beteiligten in der Szene bereits bekannt sein müssen: "Es ist zu vordergründig kommerziell und die avisierte Plattform war nicht von jemandem getragen, der in der Szene bekannt ist und sich offen dafür zur Verfügung gestellt hat, sie durchzuführen. Die Aktion war gewisserweise nicht offen und ehrlich. Und das Ergebnis war dünn. Eine Brainstormingplattform gibt es schon: Brainr.de."
Was kann man sonst noch für seine Kampagnen lernen? Oliver Wagner vom Agenturblog meint: "Die Kampagne bot aus meiner Sicht initial gutes Potential für eine große Verbreitung der dahinter liegenden Idee. Leider war diese dann aber so schwach - und löste die Fragestellung 'Was bedeuten diese drei Gegenstände für mich - für den Initiator' in keinster Weise auf. Aus meiner Sicht wäre ein weiteres Aufbauen der 'Spannungskurve' mit schrittweiser und sinnvoller Auflösung der Kampagne wesentlich zielführender gewesen. So verpufft sie."
Mein eigenes Fazit? Zweierlei - erstens: wenn man mittels Versenden von mysteriösen Botschaften nicht nur Aufsehen, sondern auf wirkliche Marketingeffekte erzielen will, dann sollte man - genau wie Oliver schreibt - sehr genau darauf achten, wie die Geschichte möglichst in relevanter spannender Weise aufgelöst wird.
Zweitens: wenn man nicht so sehr auf eine schräge Aktion setzen will, sondern eher Mundpropaganda als strategischen Baustein im Marketing verwenden will, dann sollte man passend ausgewählte Leute im Marketingprozess involvieren. Und das insbesondere bei einem Projekt, das sich ja auf die Fahne schreibt, die Meinungen der Leute zu respektieren. Ich finde es schon bemerkenswert, dass man einerseits eine Plattform bauen will, auf der Leute ihre Meinung sagen können, es andererseits aber bei der Entwicklung der Plattform selbst nicht für nötig hält, die Leute um ihre Meinung zu bitten. Hier wäre - meiner Ansicht nach - der richtige Weg gewesen, bereits im Vorfeld mit ein paar interessierten Menschen aus der Blogosphäre ins Gespräch zu kommen und bereits die Konzeption der Plattform mit Kennern der Szene zu machen. Das hätte den Effekt hinzugefügt, den sich Cem (siehe oben) gewünscht hätte: dass Leute aus dem Web-Umfeld dabei sind, die das Projekt anschließend glaubwürdig vertreten können. Und es hätte vor allem gezeigt, dass Tchibo die Sache mit den Ideen von außen wirklich ernst meint - bereits bei der Konzeption der Plattform.
Hier bietet sich vieleicht der Vergleich zum Launch des Payback-Blogs, den wir bei trnd von Anfang an mit 111 trnd-Partnern begleitet und damit als Open-Source-Marketingprojekt betrieben haben. Die Teilnehmer konnte mit entscheiden, wie das Blog aussehen soll, haben verschiedene Features des Blogs intensiv diskutiert und so die Gestalt des Blogs entscheidend mit beeinflusst. Die erzielten Werte in Bezug auf Mundpropaganda-Bereitschaft der Beteiligten waren deutlich besser, und die Aufnahme in der Blogosphäre war, so zumindest damals mein Eindruck, auch recht positiv. (Das Paybackblog-Projekt ist auch Thema in meiner Doktorarbeit - im Working Paper, das wir schon veröffentlicht haben, kann man dazu auch schon eine Ankündigung lesen.)
(Ich danke den Bloggern, die sich an der Befragung beteiligt haben - Reihenfolge völlig willkürlich: Perun, Lawblog/Udo Vetter, Thomas Lippert, Stoibär, Werbeblogger (Patrick), Oliver Wagner/Agenturblog, kosmar (obwohl der gar kein Paket erhalten hatte, drum habe ich ihn oben auch nicht mitgezählt..., Kai Müller, Jochen Mai/Karrierebibel, Frank Helmschrott, Christian Strang, Cem Basman sowie Alexander Steireif.)
Nachtrag 09.07.2008: Mich freut sehr, dass verschiedene Wirtschaftspublikationen die Geschichte hier nun auch aufgenommen haben - so die Internet Business World oder auch die WiWo.
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