Heute bin ich bei einem Unternehmensworkshop dabei, wo direkt vor mir Prof. Dr. Hennig-Thurau über Mundpropaganda spricht. Und ich blogge einfach mal mit (ohne eigene Kommentare).
Er will sowohl über die Ursachen für und Konsequenzen von Mundpropaganda im Netz sprechen. Er weist zunächst darauf hin, dass die Entwicklung, die sich insbesondere durch das Internet ergibt, eine beständige Angelegenheit ist. Dass man sich als Marketer damit abfinden muss, dass die Hoheit über die Marken langsam aber sicher in die Hände der Konsumenten übergeht.
In der alten Media-Welt galt das "Kegelmodell": man hat die Kugel genommen (Massenmedium) und sich bemüht, so gut wie möglich die entsprechenden Kegel (Konsumenten) umzuwerfen. Bei New Media ist es so, dass wir nicht mehr Konsumenten als Einzelpersonen haben, sondern Millionen, Milliarden von ihnen Zugriff auf neue Medien aktiv wie passiv haben - und damit wird aus dem Kegelmodell das Flippermodell: die Botschaften, die hinausgesendet werden, knallen wie beim Flippern an die Bande, werden in eine neue Richtung abgefälscht, bewegen sich in unerwartete Richtungen, sind vielleicht irgendwann einfach weg. Und damit muss man umgehen.
Seine erste Studie zum Thema "electronic Word of Mouth" erschien 2004. Dabei ging es um epinions, Ciao, Dooyoo & Co. Heute ist das zu beobachtende Feld viel breiter. Kommentare und Meinungen werden auf den unterschiedlichsten Kanälen verbreitet. Früher war alles Text. Heute ist Mundpropaganda Multimedia. Die digitale Mundpropaganda ist nicht mehr nur am Rechner verfügbar. Wer bei Saturn steht, kann eben mal am Handy nachgucken, welche Bewertung die DVD bei Amazon bekommt. Wir sind immer "on". Und sie ist weiterleitbar, potenziell "viral". Außerdem entsteht sie in Echtzeit. Die Kinokritiken entstehen direkt noch in der ersten Kinovorstellung des höchst erwarteten neuen Films: "Bleibt zuhause, der Film ist Mist."
Die Multimedialität von digitaler Mundpropaganda dokumentiert er jetzt anhand der Case Study "Dave Carroll vs. United", dessen teure Taylor-Gitarre von den United Airlines Leuten beschädigt wurde. Da United sich nicht auf seine Forderungen einlassen wollte, hat er schließlich verstanden, dass seine einzige Möglichkeit darin bestand, Musik über das Thema zu machen und zu verbreiten. Als zweites Beispiel zeigt er das Domino's Pizza Desaster. Und er beschreibt die Greenpeace-Aktion gegen Nestlé und Kitkat.
Warum erzeugen Leute elektronische Mundpropaganda? Jetzt soll es um die Schlüsselmotivationen gehen. Eine der wichtigsten hat mit der Gemeinschaft zu tun - wenn man seine positive Meinung zu einem Produkt äußert, macht man sich zum Teil der Fangemeinde; man ist sozusagen weniger allein. Altruismus kann ein Motivator sein: ich möchte anderen helfen. Oder es liegt an Ratsuche: Leute äußern sich, weil sie Unterstützung und Hilfe suchen. Der Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung spielt eine Rolle. Oder aber, dass Leute negative Erfahrungen loswerden, sich ausdrücken müssen, um ihren Frust abzubauen.
Wieweit betrifft digitale Mundpropaganda die Unternehmen? Ein paar Ad-hoc Meldungen: Bei Domino's hat Advertising Age zusammengetragen, dass bestimmte Markenwerte in der Folgewoche durch den Skandal negativ beeinflusst wurden. Die Times hat versucht, den Schaden durch die Dave Carroll Aktion zu beschreiben - 180 Millionen EURO Verlust für die Shareholders. Der Film "Brüno" könnte der erste Film sein, der wegen Twitter-Meldungen keinen Erfolg an der Kinokasse hatte.
Die meiste wissenschaftliche Forschung dazu hat sich immer ganze Branchen angesehen - meistens Medienprodukte. Dabei geht es um Volume (also wieviel Mundpropaganda) und Valence (wie positiv/negativ). Volume scheint laut Lui (2006) positiv mit dem Erfolg zusammenzuhängen. Weitere unterschiedliche Studien zeigen einen Effekt, der durch Volumen oder Valence (aber nicht durch das jeweils andere) beeinflusst wird, manchmal durch beide. Die wissenschaftliche Forschung dazu ist also noch recht begrenzt, hat vorläufigen Charakter.
Denn obwohl Dave Carroll seine Song verbreitet hat, konnte United in demselben Jahr zum ersten Mal einen Umsatzzuwachs einfahren. Und was Brüno betrifft: wissenschaftliche Studien konnten keinen Effekt durch Twitter-Mundpropaganda auf den Kinoerfolg von Filmen messen. Hennig-Thurau empfiehlt deshalb, bei den Hype-Meldungen vorsichtig zu sein.
Wie kann man digitale Mundpropaganda managen? Persönliche Kommunikation mit denen, die Kritik üben. Kitkat hat die FanSeite bei Facebook, wo die Kritik so stark ablief, geschlossen und die Debatte auf die Seite Diskussion geschoben. Ist das gut so? Sie publizieren aber jetzt öffentlich, was sie machen. Aber dafür sind nur noch 9.500 Fans auf der Seite.
Jetzt zeigt er noch das Video von Patrick Doyle, President of Domino's Pizza, der sich äußert und sich entschuldigt. Bei HP zeigt er ein Forum, in dem sich Kunden austauschen, und sich gegenseitig mit digitaler Mundpropaganda helfen können - auf einer Unternehmensseite. Und er zeigt den T-Mobile Dance und wie er "geseedet" wurde.
Fazit? Messen ist entscheidend. Wir müssen ein Auge drauf haben. Unterschiedliche Strategien ausprobieren und vor allem wachsam sein, um zu wissen, was da draußen los ist - nur dann kann man darauf reagieren und damit umzugehen lernen: "Life has become a lot more complex and difficult for marketers - but there are numerous exciting opportunities."