Ein wenig spät dran bin ich damit – aber grade lese ich Clay Shirkys "Here Comes Everybody". Wer nur Shirkys "cognitive surplus" kennt, weiß, was für ein scharfsinniger Web-Denker er ist. Und in seinem Buch habe ich jetzt eine Stelle gefunden, die mich laute Zustimmung seufzen ließ. In einem Kapitel beschreibt er ein paar Seiten lang die banalen Dinge, die gerade Jugendliche im Web gern posten – von schlechter Rechtschreibung getränkte Statements, die den gestrigen Partyabend betreffen oder Britney Spears oder irgendeine andere Minimalität des Alltags. Und gerade solche Äußerungen werden ja gern von Internet-Kritikern aufgenommen, um anhand von solchem "Katzencontent" zu "beweisen" (oder zumindest: zu demonstrieren), dass man das, was da in diesem neuen Medium passiert, nicht recht ernst nehmen dürfe.
Shirkys Antwort: "They're not talking to you."
Ganz genau.
Um es ganz banal zu machen: wer diese Äußerungen im Web derartig kommentiert – sie also als Zeichen für den kulturellen Untergang des Abendlandes sieht, der mischt sich letztlich in Angelegenheiten ein, die ihn eigentlich nichts angehen. Nur allein deswegen, weil etwas offen im Netz steht, heißt es doch nicht, dass es auch an jeden gerichtet ist? Nur weil eine Sache von jedem aufgerufen werden kann, muss sich doch nicht gleich jeder als Adressat fühlen? Und wieso sucht sich der Kritiker, der unbedingt zeigen will, dass es im Web eh nur Unsinn gibt, nicht stattdessen die Seiten von Leuten aus, die wirklich was zu sagen haben, und arbeitet sich an denen ab?
Wer banalsten Web-Content als Beweis dafür benutzt, dass im Web ja eh nur Quatsch zu finden sei, der handelt in etwa genauso wie derjenige, der auf der Straße irgendwelchen Smalltalk zwischen Fremden belauscht und dann daraus schlussfolgert, dass die gesamte Menschheit ja ziemlich blöde sein muss.
Man muss im Web neu lernen, welcher Content sich an wen wendet. Und welche Erwartungen der Erzeuger des jeweiligen Inhalts an die Empfänger hat. Nur weil der Text, das Bild oder der Film offen für jeden zur Verfügung stehen, heißt noch lange nicht, dass sich auch jeder davon angesprochen fühlen muss. Ganz im Gegenteil – im Web kann man ja endlich selbst entscheiden, was für einen selbst relevant ist und was nicht.
Oder, um's mit Shirky zu sagen: "Now that the cost of posting things in a global medium has collapsed, much of what gets posted on any given day is in public but not for the public." Wer im Web kostenlos einen schlechten Witz macht oder einen Freund veralbert, der tut dies nicht, um das Feuilleton zu erreichen. Sondern schlicht, um einen schlechten Witz zu machen oder einen Freund zu veralbern.