Vor wenigen Tagen hatte ich ja davon geschrieben, bei welchen Word-of-Mouth-Marketingsituationen die Arbeit mit Meinungsführern Sinn hat und bei welchen nicht. (Einen erweiterten Eintrag dazu habe ich noch auf meinem englischsprachigen Blog zu meiner Forschungsarbeit veröffentlicht.) Da ich aktuell an einem Projekt sitze, bei dem ich das Paper "Looking for Opinion Leaders: Traditional vs. Modern Measures in Traditional Societies" (Gabriel Weimann, Deon Harold Tustin, Daan van Vuuren and J. P. R. Joubert, 2007, International Journal of Public Opinion Research Vol. 19 No. 2, pp. 173-190) lese, kann ich hier kurz einen Nachtrag dazu beisteuern - dazu, wie man Meinungsführer denn überhaupt findet. Die Autoren fassen dazu die aktuelle wissenschaftliche Sicht zusammen. Danach gibt es die folgenden sechs unterschiedlichen Ansätze (Seiten 177, 178):
- Über die Position einer Person ("positional"): Hier wird angenommen, dass jemand, der in der Gesellschaft eine herausgehobene Stellung hat (Schulleiter, Stadtrat, etc.) auch als Meinungsführer wirkt. So wählt man dann solche Leute aus, um sie in bestimmte Projekte zu involvieren, damit sie diese in ihre Kreise tragen.
- Über den Ruf einer Person ("reputational"): Hier wird innerhalb einer Gemeinschaft bei unterschiedlichen Mitgliedern gefragt, welche beispielsweise die zehn einflussreichsten Menschen in der Gruppe zu einem bestimmten Thema sind. Wenn die Gruppe relativ unbestimmt oder groß ist (Beispiel: die Bevölkerung in Deutschland), stößt diese Methode natürlich schnell an Grenzen.
- Über Eigenauskunft ("self-designational"): Dies ist der klassische Ansatz über Fragebogen. Man stellt unterschiedliche Fragen, und nach den Antworten nimmt man dann an, wer am ehesten Meinungsführer sein kann. Dies ist zwar nicht die verlässlichste Methode, aber die mit Abstand populärste, die vermutlich auch am meisten Beachtung in der Forschung gefunden hat. Viele Forscher haben Vorschläge für Meinungsführerfragebögen gemacht, und es gibt insbesondere Debatten darum, ob Menschen nur in klar umrissenen Themengebieten Meinungsführer sein können (also auf Inhaltliches bezogen Meinungsführer sind, weil sie einfach mehr über ein Thema wissen), oder ob es auch Meinungsführer allgemeiner Art gibt (dann wird zum Beispiel, wie im Paper von Weiman et al, auf das Thema "Persönlichkeitsstärke" gesetzt).
- Soziometrisch: Hier werden die gesamten Kommunikationsbeziehungen in einer Gemeinschaft so komplett wie möglich aufgezeichnet (üblicherweise auch über Befragungen), um dann zu sehen, wo die wichtigsten Knotenpunkte sind, über die die meiste Kommunikation läuft. Auch dies geht klassischerweise nur innerhalb geschlossener Gruppen. In Unternehmen kann es auch gemacht werden, indem man den internen E-Mailverkehr aufzeichnet. Dann sieht man sehr leicht, wer "die Spinne im Netz" ist. Dank Facebook und Co. geht es jetzt aber im Netz immer mehr darum, diese Beziehungen auch gesellschaftsweit oder gar global aufzuzeichnen. (Davon ist in dem genannten Papier allerdings kein Rede.) Wenn Leute davon sprechen, den "Social Graph" zu monetarisieren, ist das meistens das Thema. Das ist letztlich nichts anderes, als die netzwerkartigen Beziehungen der Menschen untereinander zu "kartographieren" und dann daraus Kapital zu schlagen.
- Beobachtung: Es mag banal erscheinen, aber in manchen Fällen ist es möglich, zu beobachten, wer den wen beeinflusst. Auch das geht natürlich wiederum nur in fest umrissenen Gemeinschaften.
- Ansatz über Schlüsselinformanten: Hier versucht man zunächst Insider zu finden, die sich mit dem sozialen Netz, um das es geht, besonders gut auskennen. Im Gespräch mit ihnen kann man dann herauszufinden versuchen, wer die Kommunikation in dem Netzwerk dominiert. Der Nachteil dabei ist, dass man letztlich nur so gut ist wie die Leute, die man zur Informationssuche ausgewählt hat. Ein Beispiel für dieses Verfahren hat Baddiel in den Kommentaren hinterlassen, welches ich hier folgend nun nachträglich einfüge, weil es die Sache schön illustriert. Barkeeper fungierten dabei als Schlüsselinformanten. Diese nutzen wiederum den Ansatz der Beobachtung (Listenpunkt über diesem): "Kelly et al. (1997) nutzten Barkeeper aus Lokalen der Schwulenszene dazu, Meinungsführer zu identifizieren. Dazu sollten sie zehn Tage lang die Namen jener Gäste notieren, die bei den anderen am beliebtesten waren ('those who were most often greeted, greeted others most, and seemed well-liked'). Jede Bar beschäftigte mehrere Barkeeper, die unabhängig voneinander beobachteten. Jene Männer, die nach Ablauf der Frist auf mehr als einer Liste geführt wurden, definierten die Forscher als Meinungsführer und schulten diese daraufhin in den Methoden der HIV-Prävention. Davon unabhängig befragten Kelly et al. eine Auswahl von ungefähr 200 Gästen dieser Bars vor und zwölf Monate nach den Schulungen über ihr Sexualverhalten. Sie fanden heraus, dass sich nach der Schulung der Meinungsführer der Anteil geschützten Sexualverkehrs von 44,7 Prozent auf 66,8 Prozent gesteigert hatte, während der Anteil ungeschützten Sexualverkehrs von 32,1 Prozent auf 20,3 Prozent gesunken war. In den zeitgleich untersuchten Kontrollstädten zeigte sich dieser Effekt nicht."
Klar dürfte sein, dass von diesen Verfahren das Thema "Selbstauskunft" bei Anwendungen mit sehr vielen Leuten den meisten pragmatischen Nutzen hat. Leute zu bitten, Fragebögen auszufüllen, kann man immer und überall und ganz besonders gut im Web. Alles andere ist - zumindest dann, wenn man Marketing im großen Stil machen will - schwierig.
Es sei denn, man ist Facebook. Dann hat man vollen Zugriff und kann genau sehen, welche Leute Botschaften ausstreuen, die von anderen aufgenommen werden, wer am aktivsten im Netz ist und die breiteste Wirkung damit erzielt. Inwieweit das bei Facebook schon gemacht und genutzt wird, weiß ich aber natürlich nicht.