Um 5:30 Uhr sind wir gestern aufgestanden. Gegen 6:30 Uhr saßen wir in einem von Freunden geliehenen Auto, auf dem Weg aus Brooklyn raus Richtung Südwesten - nach Philadelphia in Pennsylvania, einem "Swing State", der extrem wichtig war für die Wahl und bei dem unklar war, ob dort für McCain oder für Obama gestimmt werden würde. Um 9 Uhr kamen wir bei einem kleinen Häuschen an der Rising Sun Avenue an, um dort zu fragen, wie wir helfen können. Wir bekamen einen Stapel Papier in die Hand gedrückt: eine Liste mit Namen und Adressen und einen Ausdruck von Google Maps, auf dem die selben Häuser noch einmal als kleine schwarze Punkte markiert waren. Dazu gab's einen Stapel Türanhänger, die wir an die Haustüren der markierten Häuser gehängt haben, um die Leute damit auf die Wahl hinzuweisen.
Zu diesem Zeitpunkt - am Wahltag - ging es nicht mehr darum, Leute von irgendetwas zu überzeugen. Es ging allein darum, dafür zu sorgen, dass all jene, die in dieser Nachbarschaft als Obama-Anhänger identifiziert waren, auch wirklich zur Wahl gingen - denn viele von ihnen würden dieses Jahr zum allerersten Mal wählen. Und es war nicht klar, wieviele sich von der Angst vor der Bürokratie, von Angst vor der eigenen Unsicherheit, von falschen Gerüchten abhalten lassen würden. Nachdem wir in ungefähr zweieinhalb Stunden unsere Anänger verteilt hatten, sind wir mit Freunden Mittag essen gegangen.
Dann kam die zweite Runde - wir bekamen wieder einen Stapel mit Adressen, genau wie beim erste Mal. Aber dieses Mal wurden wir gebeten anzuklopfen (fast alle Häuser haben keine Klingel, zumindest keine, die funktioniert), um zu fragen, ob in dem Haushalt schon gewählt worden war, für wen, und ob noch jemand eine Fahrgelegenheit zum Wahllokal braucht. Viele Leute waren nicht da - aber es war großartig zu erleben, wie motiviert und begeistert viele grade schwarze Wähler waren: "Ja klar, wir waren als allererstes heute morgen wählen!" Aber wir trafen auch einen Menschen, der sehr sauer und verärgert war, weil er sich über einen Anruf vom Obama-Kampagnenteam extrem geärgert hatte, vermutlich aufgrund eines Missverständnisses. Gegen 17 Uhr - es wurde schon dunkel und hatte zu nieseln begonnen - mussten wir aufhören und zurück nach New York fahren. Im Auto haben wir zwei andere Helfer mitgenommen, die schon seit Samstag Morgen in Philadelphia geholfen hatten. Sie hatten sehr spannende Geschichten zu erzählen, vor allem dazu, wie unglaublich perfekt organisiert diese Kampagne war.
Abends kamen wir dann nach Brooklyn zu einer Wahlparty bei einer Freundin, dort haben wir in höchster Anspannung vor dem Fernseher gehangen, bis schließlich die Fernsehstationen gegen 11 Uhr gemeldet haben, was alle erwartet haben, was aber trotz allem so unglaublich schien... scheint...? Auf der Straße waren spontane Begeisterungsfeiern, wie es das wohl nach einer Präsidentschaftswahl noch nie gegeben hat. Als Obama seine Rede hielt, hatte jeder - aber auch jeder - im Raum Tränen in den Augen.
Das ist so grandios, so unglaublich - wie sich diese Demokratie neu erfinden kann, wie sich da ein Mann, der ein so begnadetes Talent zur Inspiration besitzt, nach ganz oben gearbeitet hat, und wie er dem "American Dream", von dem ich dachte, das er aufgehört hat zu existieren, neues Leben einhaucht - das macht mich sprachlos. Atemlos.
Gestern sagte ein Kommentator im Fernsehen: "This is a new man on the moon." Eben erzählte ein Anrufer im Radio, dass die Stimmung in der Stadt so sei wie direkt nach dem 11. September - die Nation kommt zusammen. Mir laufen Schauer den Rücken hinunter, und ich bin immernoch ganz sprachlos. Und dankbar dafür, dass ich hier dabei sein konnte.
Was für ein Tag. Was für ein unglaublicher Tag.
(Und wenn sich irgendein Leser hier fragt, was ich als Deutscher eigentlich überhaupt mit der USA-Wahl zu schaffen habe, dann bitte ich darum, einfach mal hier zu gucken.)