Mundpropagandaforscher interessieren sich sehr für Netzwerke: wer ist mit wem befreundet, welche Botschaft geht über welchen Kanal an welche Empfänger, welcher (menschliche) Knotenpunkt hat viel Einfluss, welcher wenig? Die moderne Netzwerkanalyse ist die Weiterentwicklung der Influentials/Meinungsführerforschung, sie begreift soziale Gemeinschaften als System aus Verbindungen und Knotenpunkten und versucht zu verstehen, wie diese Systeme funktionieren. Duncan Watt und Peter Dodds beispielsweise haben mit Netzwerkforschung Ergebnisse erzielt, die nahelegen, dass Meinungsführer gar nicht die entscheidende Rolle spielen können, die ihnen für die Verbreitung von Botschaften häufg angedichtet wird.
Ein Problem hat aber die Netzwerkforschung immer wieder: sie kann die Netzwerke, die unter uns Menschen bestehen, fast nie komplett erfassen. Innerhalb eines Unternehmens kann man den E-Mailverkehr beobachten und daraus Schlüsse ziehen. Aber sobald eine Mail das Unternehmen verlässt, weiß man nichts mehr über das, was dann passiert. Wir bei trnd können Teilnehmer an unseren Kampagnen Fragen stellen und sie außerdem bitten, auch ihre Konversationspartner zu Befragungen einzuladen. Aber wirklich komplett darstellen, wie weit verzweigt das Netzwerk ist, wer alles dazu gehört, wer wie erreicht wird - das können wir nicht. Facebook kann analysieren, wer mit wem vernetzt ist und wer wem Nachrichten schreibt. Aber sobald jemand eine URL aus einer Facebook-Message in eine Mail kopiert, hört die Überwachungsmöglichkeit auf. Und genau das ist sehr gut so. Denn es darf nicht sein, dass es eine Instanz gibt, die alle Kommunikation, alle Verbindungen, alle Beziehungen zwischen uns Menschen aufdecken, analysieren, kontrollieren kann.
Das stört nun die britische Regierung. Und es scheint, zumindest diesem Artikel bei Spiegel Online zufolge, dass man dort allen Ernstes erwägt, sämtliche digitale Kommunikation im Land tatsächlich ausnahmslos zu überwachen. Warum?
"Die Geheimdienste argumentieren, um in diesem Datenwust die 'Freundschaftsbäumchen'von Terroristen aufzuspüren, müsse man Zugriff auf die Gesamtheit der Daten haben. Dem 'Telegraph' sagte ein Beamter des Innenministeriums im Oktober, man könne mit derartiger Technologie etwa Chat-Sitzungen auf passwortgeschützten Islamisten-Websites mitschneiden."
Mit anderen Worten: die Limitierung der Netzwerkanalyse will die britische Regierung nun zumindest auf den digitalen Kanälen aushebeln. Ganz ehrlich gesagt bleibt mir die Sprache weg, wenn ich das lese. Gerade, wenn die betroffenen Behörden dazu offenbar auch noch hoffnungslos inkompetent sind:
"Für Datenschützer aber ist all das ein Alptraum. Gerade britische Behörden haben in jüngster Vergangenheit immer wieder Daten verschlampt, verloren oder versehentlich öffentlich zugänglich gemacht. Da gingen CDs oder Festplatten mit persönlichen Daten von Justizbeamten, Kindergeldempfängern oder Krankenversicherten verloren. Ein USB-Stick mit Quellcode und Zugangsdaten für Regierungssysteme wurde auf einem Parkplatz gefunden, Akten mit Daten über Zehntausende Bürger in einem Gebüsch. Auf einem Militärgelände verschwand ein Laptop, der persönlichen Details über 600.000 potentielle und tatsächlich eingestellte Rekruten enthielt."
Ich hoffe sehr, dass die Bürger des Landes nicht zulassen, dass das mit ihren Steuermilliarden angestellt wird.