Sehr geehrte Damen und Herren,
vergangene Woche konnte ich in einem Gastbeitrag auf diesem Blog lesen, dass sich bei manchen von Ihnen zwei Synonyme für die Zunft der Blogger und ihrer Aktivitäten eingebürgert haben: „Army of Davids“ oder auch „Loser Generated Content“. Außerdem konnte man dem Text entnehmen, dass sich offenbar in den Kreationsabteilungen Ratlosigkeit breit macht – dazu, wie in der Werbung mit dieser Armee von Verlierern wohl umzugehen ist.
Gegenüber all den Werbern, die das so sehen - die sich in den Kreativabteilungen der Agenturen das Maul zerreißen, über Loser-Blogs und schlechten Schreibstil auf Facebook oder Twitter, über wackelige Videos und pink leuchtende MySpace-Profile, die dort mangelnden Geschmack oder Stil (oder beides) belachen - würde ich mich gern kurz äußern. Denn einerseits habe ich das allergrößte Verständnis für Ihre wahrlich schwierige Lage: Sie haben Ihre Jobs gewählt, weil Sie sich dafür begeistern, knappe punktgenaue Texte und starke bedeutungsvolle Bilder zu entwerfen. Plakate. Anzeigen. Werbefilme. Die Werbebranche ist jahrzehntelang auf genau Ihren Menschenschlag angewiesen und vorbereitet gewesen, hat sogar einen eigenen Verein dafür gegründet. Da will ich nun gern einsehen, dass es schwer zu ertragen ist, wenn nach und nach, Schritt für Schritt, Blog für Blog, ganz andere und eher normalsterbliche Schreiber und Bildermacher immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen – mit Texten, die so gar nicht dem werblichen Verständnis von medialer Kreativität entsprechen. Mit Bildern, die sich für keine Pitch-Präsentation eignen.
Aber leider gibt es neben allem Verständnis auch einen Aspekt Ihrer Haltung, der sehr gefährlich ist: denn wenn Sie die Auffassung hegen, dass all die Blogger, die sich ohne kreative Weihen und aus ihrem Keller, Schlafzimmer, dem Zug, einem Restaurant oder aus dem Supermarkt medial äußern, nichts anderes als Verlierer und Kleinkrieger sind, die eigentlich nichts zu bestellen haben, dann gibt es ein gravierendes Problem: Sie lassen jeden Respekt vor den Menschen vermissen, die Ihr Gehalt bezahlen. Denn diese Menschen haben sehr wohl was zu bestellen - ganz wörtlich genommen! Der verträumte Blogger mit den uninspirierenden Texten trinkt genau das Bier, das Sie bewerben. Der langatmige Podcaster mit den endlosen mp3s über Literatur aus dem 19. Jahrhundert spart auf den Wagen, den Sie betexten. Der Twitterer mit den Nachrichten aus der Baby-Krabbelgruppe denkt über eine neue Lebensversicherung nach, um die Sie pitchen. Wenn Sie meinen, dass all diese Menschen und all die anderen, die das Web für sich und ihre ganz eigenen Ideen und Projekt entdeckt haben (dazu deren Freunde, Familien, Bekannten), nichts als Loser sind, dann bedeutet das letztlich, dass Sie Ihre Kunden für Loser halten. Dass Sie keinen Respekt vor denen haben, für die Sie letztlich texten und bildern. Wie kann man aber für Menschen arbeiten, die man nicht respektiert? Die man überhaupt nicht mag? Wie kann man sie verstehen und erreichen? Und auch die Werbekunden werden – über kurz oder lang – merken, wie Sie denken. Das wird unschöne Folgen haben. Vielleicht sollte ich noch deutlicher werden: sie merken es bereits jetzt. Und die Menschen interessieren sich immer weniger für das, was da als kreative Glanzleistung im kleinen Kreis gefeiert, im großen aber ignoriert wird. Vielmehr beginnen sie sich zu ärgern - wegen dieser Arroganz gegenüber den "Losern", die einfach nur Menschen sind, die das öffentlich sagen, was ihnen so durch den Kopf geht. Ganz so, wie das ihr gutes Recht ist.
Nun könnte es ja durchaus sein, dass die Arroganz, die aus diesen Bezeichungen spricht, gerechtfertigt ist? Weil Sie vielleicht in der Tat so viel besser, kreativer, spannender, interessanter sind als all die Loser da draußen. Sollte das der Fall sein, bestünde ja überhaupt kein Problem. Sie müssten nur eben aus dem Handgelenk die beiden folgenden Aufgaben lösen:
1) Geschichten, Ideen, Konzepte erfinden, die die Massen oder auch die Nischen elektrisieren. Nicht, weil millionenschwere Etats Ihre Ideen in jedes Wohnzimmer tragen. Das kann doch jeder. Nein - so großartig denken, erfinden, entwickeln, dass die Loser kommen, dass ihnen der Mund offen steht und sie begeistert klicken, gucken, und wieder kommen und wieder klicken und wieder gucken, und alle ihre Freunde mitbringen. So dass nicht der Werbedruck die Millionen Zuschauer bringt, sondern allein die Idee. Und dass alle Loser mitmachen, sich einbringen, unterstützen, mithelfen wollen. Wer das wirklich leisten kann, der darf sich dann auch getrost für besser halten.
2) Bei all dem müssen sie jedoch sicherstellen, dass diejenigen, die begeistert sind, später auch kaufen. Denn wer für Passion und Begeisterung sorgt, aber keine Marktanteile bringt, der soll Künstler werden, nicht jedoch im Marketing arbeiten.
Einen kleinen Haken hat die Sache zudem: Die Medienwelt ändert sich. Radikal. Und daher ziehen diese Aufgaben den Bedarf nach sehr viel Experiment und Probieren mit sich. Und genau an dieser Stelle machen Ihnen leider Ihre eigenen Chefs oft einen gehörig fetten Strich durch die Rechnung: "Hier wird nicht rumexperimentiert, der Kunde ist nur profitabel, wenn mit einer Mindestanzahl Stunden eine maximale Anzahl von Briefings abgearbeitet wird." Da stellt sich nun die Frage: Wie soll das gehen? Wie kann ein Texter (der gelernt hat, Anzeigen und Filme auszudenken) die Zeit finden, Facebook zu verstehen, Blogs zu lesen, zu Barcamps zu gehen, Twitter zu nutzen - wenn er nicht experimentieren darf? Wie soll der AD (der weiß, wie man 18/1 macht) Flickr entdecken, mit YouTube werkeln, kollaborative Designprozesse erfahren - wenn der Etat für die Kampagne nicht vorsieht, genau solche ersten Erfahrungen mit und für den Kunden zu sammeln? Wie kann der Kundenberater, der sich bislang häufig mit besonders dämlichen Kunstworten auf PowerPoint-Charts befasst, die Zeit finden, den Wandel in der Medienlandschaft nicht nur zu bestaunen, sondern zu verstehen, die schwindende Macht mancher Medien begreifen lernen, und daraus hilfreiche Schlussfolgerungen für seine Kunden ableiten? Um so neue Mittel und Wege zu finden, damit Marken sich beispielsweise im Netz auf herausragende Weise profilieren können?
Nicht nur das Nachdenken über Werbung muss sich ändern, auch die Strukturen in den Agenturen. Und genau das ist schmerzhaft, denn erstens kostet es Geld. In diese neue Welt muss investiert werden - hier ist neben Wissen vor allem Erfahrung gefragt, aus Experimenten und Versuchen. Und zweitens kostet es Köpfe. Natürlich werden Köpfe rollen, in den kommenden Jahren. Und das nicht allein wegen der Finanzkrise. Vor allem werden diejenigen Köpfe rollen, die nicht zuhören können. Die Kreativen, die meinen, dass der Werbeprozess mit dem Nachdenken im abgeriegelten Kämmerlein zu tun hat - sie werden leider Künstler werden müssen und nebenbei vielleicht im Coffeeshop jobben. Denn wenn es eine Kompetenz gibt, die man künftig brauchen wird, dann ist das die Kompetenz "Zuhören". Wem? Natürlich – den "Losern". Oder anders gesagt: allen Menschen, die was zum Produkt zu sagen haben. Tausenden von Leuten, deren Meinung mittlerweile einfach mehr zählt als die eine Idee des Werbers. Das hat viel mit Respekt zu tun, mit Interesse, mit Offenheit und Neugier. Und nicht mit arroganter Abschottung.
Daher meine persönliche Loser-Empfehlung - in drei Teilen: Kämpfen Sie um Geld zum Experimentieren - um Investments in ein Wissen, das die meisten Agenturchefs selbst nicht mehr verstehen werden. Denn sonst werden Ihre Kampagnen irrelevant. Kämpfen Sie mit sich selbst um Respekt vor den Kunden Ihrer Produkte. Denn sonst verlieren Sie Ihren Job. Und kämpfen Sie drittens mit der gesamten Branche um mehr Neugier und Interesse an den Menschen. Das 20. Jahrhundert war in der Werbung das Jahrhundert der Idee. Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert des Menschen sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Martin Oetting
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