Vor wenigen Tagen erschien in der Wirtschaftswoche (WirtschaftsWoche vom 8.9.2008, Nr. 37, Seite 124, hier die Online-Version) unter dem Titel "Werbung für lau" ein Text, den ich gemeinsam mit Sebastian Matthes über Mundpropaganda-Ansätze und Viral Marketing für Unternehmensgründer geschrieben habe. Hier poste ich den Text auch noch einmal, in einer etwas längeren Fassung, denn im Heft waren leider - wie das im Redaktionsalltag so ist, wenn Seiten knapp sind - ein paar Dinge weggekürzt worden.
Erfolg hat für Kirstin Walther viel mit Kommunikation zu tun. Vor vier Jahren steckte die von ihr geführte Kelterei Walther in der Krise. Damals riet ihr ein Bekannter, im Internet den direkten Austausch mit ihren Kunden zu beginnen. Sie startete das Saftblog, schrieb dort über Fruchtfliegen und den Saft der Aroniabeere, diskutierte mit den Lesern und kommentierte in anderen Blogs. Die Leserzahlen stiegen, die Presse wurde aufmerksam, sogar das ZDF filmte die sächsischen Saftpressen. Im November 2006 brach bei Walther die Telefonanlage zusammen. Menschen aus ganz Deutschland wollten wissen, wo sie den gesunden Saft kaufen können. Sie meldeten sich aber nicht nur in der Kelterei, sondern fragten auch in Reformhäusern. Seitdem stehen die Walther-Säfte auch dort in den Regalen. Und die Produktion der Kelterei wächst ordentlich - neue Kunden kommen aus dem ganzen Land. All das fast ohne zusätzliche Marketingausgaben. Die Kunden und Nutzer selbst begeistern ihre Freunde für die gesunden Säfte.
Wer solche Mundpropaganda gezielt anregt, macht sogenanntes virales Marketing – gerade für Startups eine besonders interessante Form der Werbung. Zusammen mit Martin Oetting von der Agentur trnd AG, der das Thema Mundpropaganda wissenschaftlich erforscht, hat die WirtschaftsWoche zehn Regeln aufgestellt, wie Startups virale Effekte auslösen:
1. Virales Marketing basiert auf echtem Mehrwert. Nutzer sollen Freunde für ein neues Angebot begeistern. Das tun sie nur, wenn ihre Erwartungen übertroffen wurden, etwa wenn das Angebot besonders nützlich oder interessant ist und sich leicht und anregend weitererzählen lässt. E-Commerce-Experte Jochen Krisch sagt: "Ich frage Gründer deswegen nur noch: Welche Geschichte soll kommuniziert werden? Und wie transportiert die Internetseite die Idee?"
2. Virales Marketing muss persönlich sein. Wer geschliffene PR-Texte schreibt und sich hinter Floskeln versteckt, kann keine Beziehung zu seinen Nutzern aufbauen. Am Anfang lebt das Unternehmen vor allem im Netz davon, dass die Fans einen Draht zu den Gründern spüren. Und man darf durchaus auch Fehler zugeben: So entschuldigte sich das Team des Startups MyMuesli im Blog für Lieferschwierigkeiten wegen starken Wachstums. "Sympathischer kann man Erfolg und Problem eines Startups nicht kommunizieren", sagt Mark Pohlmann, von der Agentur Mavens Dialog.
3. Virales Marketing setzt auf Netzwerkeffekte. Wenn ein Mensch allein ein Telefon besitzt, wird er damit nicht glücklich. Sobald er andere anrufen kann, macht es Spaß. Auf diesem Prinzip - dass ein Produkt nützlicher wird, je mehr Freunde es auch verwenden - basiert der Erfolg vieler viraler Erfolgsgeschichten im Netz. Ob Skype, ICQ, oder MySpace - alle diese Dienste werden für mich selbst interessanter, wenn meine Freunde sie auch benutzen. Wenn möglich sollten Gründer diesen Mehrwert gezielt einplanen.
4. Virales Marketing braucht Beziehungen. Gehen Sie gezielt aber höflich auf Meinungsführer zu, die ein Blog betreiben oder in großen Foren aktiv sind. Bitten Sie diese Menschen um ihre Meinung. So erhalten Sie nicht nur hilfreiche Verbesserungsvorschläge, sondern auch Öffentlichkeit und wertvolle Kontakte. Am Anfang, wenn noch keiner die Marke kennt, ist das persönliche Netzwerk das wichtigste Marketinginstrument.
5. Virales Marketing ist anstrengend. Als Gründer muss man die ersten Fans und Nutzer persönlich anwerben und für die Sache begeistern - dazu gehört, dass man auf Konferenzen präsent ist, Vorträge hält und thematisch passende Gesprächsrunden organisiert.
6. Virales Marketing lebt von Partizipation. Binden Sie ihre Nutzer ein. Gerade die ersten sind häufig anspruchsvoll und kritisch. Wenn man ihnen Möglichkeiten bietet, sich einzubringen - in Diskussionen und durch Abstimmungen über neue Produktideen - steigt die Identifikation mit dem Projekt. Sie sind dann eher bereit, auch ihren Freunden davon zu erzählen. Dazu Karsten Hoffmann, Kampagnenchef bei der trnd AG: "Selbst harsche Kritik niemals persönlich nehmen – auch nicht, wenn es sich bei dem Projekt um das eigene 'Baby' handelt. Wer konkret kritisiert, ist bereits involviert!"
7. Virales Marketing basiert auf Ehrlichkeit. Gehen Sie niemals in verdeckter Mission in Foren und Blogs, um Ihre Produkte als vermeintlich begeisterte Nutzer anpreisen. Das kommt fast immer heraus und wird von Bloggern wochenlang ausgeschlachtet.
8. Virales Marketing setzt auf Insiderwissen. Interessenten und Fans können die beste Mundpropaganda machen, wenn sie die Produkte selbst erlebt und Hintergrundgeschichten dazu gehört haben. Daher sollte man den ersten Fans ausführliches Testen und Erleben ermöglichen und ihnen die interessantesten Anekdoten mit auf den Weg geben. Wer erfahren hat, wie ein Produkt entwickelt worden oder eine Idee entstanden ist, erzählt gern anderen davon.
9. Virales Marketing ist mehr als Werbefilme. Auch Werbeagenturen haben das Thema "virale Verbreitung" für Baumarktketten oder die Autobranche entdeckt. Sie drehen Werbefilme, die sich im Netz verbreiten sollen, zur Unterstützung des Markenimages. Neue Nutzer und begeisterte Fans gewinnt man damit kaum. Facebook, StudiVZ oder Xing, die zu den erfolgreichsten Seiten im Netz gehören, haben ihren Erfolg vielem zu verdanken, nicht jedoch viralen Filmen.
10. Virales Marketing braucht Passion. Man kann Dutzenden Regeln folgen - das reicht nicht, wenn man nicht hinter seiner Idee steht. Erst wenn ein Team wirklich an das Projekt glaubt, alles zu geben bereit ist und auch unkonventionelle Wege geht, entsteht die Energie, die für Begeisterung nötig ist. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass bahnbrechende Geschäftsideen so selten in großen Konzernen entstehen.
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