Ich habe ja neulich schon mal bei Deutsche Startups eine ganze Menge über das Thema geschrieben. Hier kommt quasi noch ein Nachtrag dazu.
Gestern saß ich mit einem Freund zusammen, der eine Webplattformen betreibt, die auf Nutzerinhalte setzt. Er hat momentan die Herausforderung, sein Marketing anzukurbeln, denn er braucht vor allem mehr Mitglieder, die selbst Content erstellen.
Das Problem ist nun vor allem der Konkurrenzdruck, der im Netz heute herrscht. In den meisten Märkten im Web gibt es einen Verdrängungswettbewerb, bei dem nur wenige große und ein paar kleine Player übrig bleiben. Wenn neue Webdienste entstehen, gibt es langfristig immer Konsolidierung. Viele probieren sich daran, wenige bleiben übrig. Die Startups müssen also möglichst schnell eine möglichst große Menge Nutzer an sich binden. Sonst sind sie hintendran, die anderen haben die kritische Masse, sie selbst werden irrelevant und können nicht mehr aufholen.
Wenn man mit der eigenen Plattform früh dran war und sich bereits eine loyale Nutzerschaft aufgebaut hat, gibt es einen entscheidenden Vorteil bezüglich der Plattformqualität - man hat bereits im Austausch mit der eigenen Community viel gelernt und kann die Plattform in der Interaktion mit der Community verbessern. Das ist ein sehr wichtiger viraler Marketingansatz, der von vielen unterschätzt oder nicht beachtet wird: indem man die Mitglieder zu involvierten Teilhabern macht, kann man sowohl das Produkt verbessern, als auch ihr Mundpropagandaverhalten intensivieren. Denn sie reden gern über das, was sie selbst mit verbessern konnten. Allerdings: auch diese Mitglieder können vermutlich nicht die Wellen von Mundpropaganda erzeugen, die die Plattform braucht. Sie können aber mithelfen und dafür sorgen, dass Qualität und Reputation der Plattform im Netz gut sind. Es ist also eine gute Grundlage geschaffen, die den weiteren Ausbau erleichtert.
Aber abgesehen davon steht man aber dann, wenn der Konkurrenzdruck einsetzt, vor der selben Herausforderung wie andere, die später kommen: wie schaufele ich qualitativ hochwertigen Traffic auf die Seite?
Die wenigsten viralen Werbekampagnen können wirklich verlässlich Traffic schaufeln - und ich meine mit Schaufeln wirklich viele User, möglichst Hunderte, wenn nicht gar Tausende am Tag, und das über einen gewissen Zeitraum hinweg. Denn jeder, der bloggt, weiß, dass die wenigsten Leser wirklich Kommentare hinterlassen. Wenn man also richtig viele neue Nutzer braucht, die auch selbst was posten, braucht man noch viel mehr Traffic (entsprechend der 90-9-1-Regel). Oder aber man braucht so guten Traffic, dass weniger Leute kommen, aber solche, die auch Content erzeugen. So qualifizierten Traffic findet man aber nicht leicht.
Es gibt ab und zu viralen Werbekampagnen, die gut funktionieren. Die werden dann zwar millionenfach weitergeleitet. Aber die wenigsten bringen wirklich Traffic auf Websites. Sie haben eher Branding-Ziele und eignen sich damit eher für Markenartikler, die an ihrem Image arbeiten wollen, aber nicht unbedingt Traffic auf einer Website brauchen.
Letzteren bekommt man durch virale Effekte nur dann hin, wenn die Plattform mir genau dann einen direkt fühlbaren Mehrwert bringt, wenn ich - als Mitglied - ein neues Mitglied dazu anwerbe. Wenn man also nicht auf virale Werbung setzt, sondern auf in die Plattform hineinentwickeltes virales Marketing.
Manch einer, der eine Plattform mit User-generated Content betreibt, denkt sich hier vielleicht: "Aber genau so ist es doch bei unserer Seite - je mehr Nutzer drauf sind, desto mehr (guten) Content wird es dann auch geben! Damit bringt es doch jedem Nutzer etwas, wenn er andere auch dazuholt. Wieso funktioniert meine Plattform nicht viral?"
Die Antwort ist, dass es sich hier um Verzögerungsproblem handelt. Bei derartigen Content-basierten Seiten kommt der Mehrwerteffekt durch den neuen Nutzer nicht sofort dem Individuum, sondern verzögert dem Kollektiv zugute. Es stimmt zwar, dass der neue Nutzer langfristig der Plattform nützt. Aber eben nur langfristig der Plattform, aber nicht kurzfristig dem Nutzer, der ihn einlädt. Wenn man also auf solche Langfristbenefits setzt, muss man einen längeren Atem mitbringen - siehe Wikipedia, oder Qype.
Richtig rapide Effekte dieser Art entstehen meines Wissens nur, wenn die Plattform eine neue Kommunikationsform ermöglicht, die den Menschen hochwillkommene Austauschmöglichkeiten bietet: Telefon, Fax, Hotmail, ICQ, Skype, Facebook oder StudiVZ. Hier sieht jeder sofort den Grund, warum er/sie andere auch für den Dienst begeistern sollte: weil der Dienst dadurch sofort für den einzelnen besser und interessanter wird. Nicht erst dann, wenn der andere vielleicht mal einen neuen Eintrag geschrieben hat, und auch noch Freunde angeworben hat, die auch wieder Content schaffen, sondern sofort: "Der Freund ist auch bei Facebook? Super, dann kann ich ihn gleich in meine neue Gruppe einladen."
Wenn man diesen Effekt nicht für sich nutzen kann, ist der virale Ansatz in einer hochkompetitiven Situation - also dann, wenn man dringend schnell Traffic braucht - sehr schwierig. Man sollte dann eher auf Partnerschaftsverhandlungen mit großen Betreibern setzen, die einem möglichst viel intelligenten Traffic bringen. Intelligent bedeutet dabei, dass man an solche Partner herantritt, die vielleicht einen bestimmten Kundenstamm haben, der von sich aus automatisch bereits das Interesse mitbringt, den richtigen Content zu erzeugen.
Und bei alledem darf man die Community nicht vergessen: in der Interaktion mit den aktivsten und kritischsten (!) Mitgliedern die Plattform immer weiter verbessern. Die Mundpropagandaeffekte durch diese Leute sind zwar nicht massiv. Aber sie sind nachhaltig.
Sollte übrigens jemand hier virale Werbekampagnen kennen, die wirklich Traffic geschafft haben, wäre ich sehr daran interessiert, davon zu erfahren!