Auf dem Accenture Campus Kronberg heute morgen angekommen, habe ich grade herausgefunden, dass es hier im Konferenzsaal ein offenes WLAN mit Namen Zukunftskongress gibt. Es kann also gebloggt werden. Auf der Busfahrt vom Hotel hierher habe ich mich angenehmerweise mal wieder mit Claudia Helming von DaWanda unterhalten können, die ich schon länger nicht gesehen hatte. Die Veranstaltung beginnt mit einer Einführung durch Christiane Friedemann und Andreas Steinle vom Zukunftsinstitut, letzterer erklärt grade, warum die Veranstaltung "Next Markets - Willkommen auf dem Basar der Zukunft heißt": Insbesondere die Menschlichkeit der neuen Kommunikationsformen im Marketingaustausch lässt die Wirtschaft wieder basarartiger werden. Cluetrain rules.
Der erste Vortrag kommt von Matthias Horx, dem Gründer des Zukunftsinstituts. Ihn gestern abend beim Abendessen zu erleben, war schon eine sehr spannende Angelegenheit - geballtes umfassendes Allgemeinwissen wortgewandt vorgetragen, sehr interessant.
Bei Matthias Horx geht es jetzt um "Die Märkte von Morgen". Er beginnt damit, zu beschreiben, dass in der Öffentlichkeit die Märkte an sich mittlerweile einen sehr schlechten Ruf hätten. Öffentlich wird wahrgenommen, dass der Markt eigentlich an allen Problemen schuld sei - eine Einmütigkeit in der Verdammung der Märkte, eine tiefe sozialistische Sehnsucht. Märkte seien kalt, erbarmungslos, ausbeuterisch. Wer Geld verdient, nimmt es anderen weg. Ein Grund sei, dass wir in Deutschland das Thema Markt eigentlich nie so "gelernt" hätten, wie vielleicht in anderen Ländern. Bei uns spielte Marx eine größere Rolle als Smith, wobei letzterer doch gezeigt habe, dass Märkte und Arbeitsteilung den Volksreichtum steigern. Natürlich können Märkte Fehler machen. Aber die Fähigkeit, diese Fehler wieder zu regulieren, sei eine wichtige Stärke.
Während Lafontaine und Geissler Marktgegner seien, gebe es ungewohnte Befürworter, wie beispielsweise den Dalai Lama. Dieser erklärt, dass der Aufbau von Wohlstand - als grundlegende Tätigkeit des Lebens - dann Leid erzeugt, wenn auf verfehlte Art betrieben.
Den orientalische Basar als eine besondere Form des Marktes stellt er nun vor: Branchensortierung, Integration von Handwerk und Handel, das Festlegen des Preises im Dialog - über Feilschen, sind wichtige Facetten, die diese Marktform ausmachen. Im Mittelalter wurden die Märkte in Europa dann dagegen diversifizierter, es wurden Gilden gebildet, Preise wurden fest gelegt, Konkurrenz wurde reduziert. Während im Basar Händler und Kunde eine enge Bindung haben, führt in den korporatistischen Märkten die enge Verflechtung der Marktteilnehmer dazu, dass es ein enges Gebilde von Produzenten, Zwischenhändlern, Verbänden und Lobbies bewirkt, dass der Abnehmer bzw. der Kunde eben nur noch der endgültige Abnehmer ist - ohne Einfluss, Mitsprache, Mitwirkung.
Paul Samuelson definiert den Markt wie folgt: "Ein Markt ist ein Mechanismus, mit dessen Hilfe Käufer und Verkäufer miteinander in Beziehung treten, um Preis und Menge einer Ware oder Dienstleistung zu ermitteln." Bei einer Definition von Andreas Scharf kommt der wichtige Aspekt der spezifischen Bedürfnisse der Kunden dazu. Das als die Brücke zum Schlagwort der Entwicklung vom Konsumenten zum Prosumenten.
Horx erkennt an, dass das Schlagwort nicht ganz unproblematisch ist, da Kunden durchaus nicht immer genau wissen, was sie brauchen oder wollen. Aber dennoch sei es wertvoll, sich mit der Idee auseinander zu setzen. Eben weil die Kunden heute ganz eigene Möglichkeiten haben, ihre Erwartungen und Ansprüche zu formulieren und durchzusetzen.
Ein wichtiger Aspekt dabei ist die veränderte Biographie der Menschen - Horx zeigt anhand von Charts, wie sich die Lebenslinie verändert (Postadolenszenz, die "Rush Hour", in der man Familie und Karriere hinbekommen muss), in manchem erkenne ich mich selbst sehr wieder. Die Sinus-Milieus, so sagt er, spielen weiter eine Rolle - aber in jedem einzelnen Leben durchwandern wir diese verschiedenen Milieus selbst. Die Latte-Macchiato-Familie beschreibt er nun grade - die Familien, die Hedonismus und Familienleben zu verbinden verstehen und am Prenzlauer Berg oder in Frankfurt Hockenheim leben. Dazu gehören die neuen Männer, die zwar durchaus noch schnelle Autos spannend finden, aber schon andere Dinge in den Lebensmittelpunkt stellen. In den "Very Important Baby Families" (VIBs) bekommen 35-40jährige ihre Kinder, während die Silverpreneure die Älteren sind, die einfach weitermachen, wenn es eigentlich in die Rente geht. (Original mein Vater.)
Als die neue Mitte der Märkte beschreibt er moderne Erfolgsfirmen, die günstige Preise, Innovationskraft sowie Luxusappeal kombinieren und die, so wie beispielsweise die US-amerikanische Fluggesellschaft JetBlue, viel Wert auf Wohlgefühl legen, super gestaltete Kabinen hat und "die bestaussehendsten und schwulsten Piloten haben".
Mittlerweile ist er bei den Entwicklungen angekommen, die durch den steigenden Konsumwunsch der nachrückenden 2 Milliarden ehemaligen Armen aus Entwicklungsländern entstehen.
Mann Mann. Ist schwer, hier Schritt zu halten. Ich kann hier vielleicht grade 40% von dem bloggen, was er erzählt.
Wichtiger Markt derzeit: der Markt für Moral und Weltrettung, der sei derzeit groß in Mode. Wo die Gefahr droht, dass da sehr viel Schindluder getrieben werden kann.
Mittlerweile geht's um das Chevy Tahoe Desaster sowie um die Adbusters - also um den ermächtigten Konsumenten, der Marken durchaus ins Verderben reiten kann. Er zeigt ein paar sehr nette Adbuster-Motive. Joe Chemo (anstatt Joe Camel) kannte ich noch nicht, und auch eine sehr nette Werbung mit einem Palmers-Slip an einem Nashorn. Horx' Auffassung nach sollte es bei Corporate Responsibility nicht darum gehen zu erläutern, dass "man eigentlich gut" ist, sondern dass man tatsächlich ein Unternehmensziel verfolgt, das guten Sinn hat - Google will das Weltwissen verfügbar machen, Apple verbindet Alltagstechnik mit sinnlichem Design. Dieser echte gute Nutzen lässt mich das Unternehmen annehmen, und dann begleite ich es dabei, wie es sich bemüht, Dinge Schritt für Schritt zu verbessern.
Zitat: "Wenn Sie jemals wieder darauf warten, dass ein MS-DOS Computer startet, wissen Sie, was Demütigung wirklich bedeutet."
Horx überzieht übrigens brutal... Hm. Wolf Lotter hat mir gestern erklärt, dass er dringend darauf angewiesen ist, dass hier alles zeitlich straff abläuft, weil er recht spät dran ist und danach noch einen Flieger nach Berlin erwischen muss. Dann werden wohl die Pausen kürzer...
Jetzt sind wir beim Thema "The Cathedral and the Bazaar": Marken und Produkte entstehen letztlich ähnlich wie Software, die als brüchige Architektur gebaut sind, und die künftig (wieder?) viel stärker auf eine basarartige Arbeit angewiesen sind, um ihren Sinn im Austausch mit den Kunden zu schaffen.
So, das war's für diesen Vortrag.