Vor wenigen Tagen habe ich David Weinbergers "Everything Is Miscelleaneous" gelesen. David (, der übrigens nicht nur ein passionierter Redner, sondern auch ein extrem interessanter Gesprächspartner und großer Fan von Barrack Obama ist!) beschreibt in dem Buch zunächst, wie wir Menschen uns über die Jahrhunderte hinweg ganz unterschiedliche Ordnungsprinzipen verpasst haben: wir haben definiert, was in die Kategorie der Planeten gehört und die Planeten gezählt, wie haben Wissen in Kategorien unterteilt und in Bibliotheken sortiert, wir haben Ladengeschäfte nach möglichst hilfreichen oder aber umsatzsteigernden Prinzipien geordnet und verschiedene Tierarten möglichst zweifelsfrei zu verschiedenen Arten und Abstammungsbäumen zusammengefasst. Der Mensch hat, bei der Arbeit mit Wissen, also vor allem immer Kategorien gebildet und Ordnungen erstellt. Das ist natürlich auch gut so, und ein wichtiger Aspekt der Arbeit mit Wissen. Aber: es hat auch dazu geführt, dass uns manche Ordnungen - so nützlich sie bei ihrer Erfindung erschienen sein mögen - heute ein wenig den Blick verstellen. Denn sie sind sehr rigide und unflexibel, und sie lassen die Realität nur in einem Licht erscheinen, obwohl manchmal verschiedene Blickwinkel auf eine Sache hilfreicher wären. An dieser Stelle beschreibt das Buch dann, wie es dank der Digitalisierung der Welt und dank der nutzergetriebenen Ordnungen im Netz ("Folksonomy") heute möglich wird, immer wieder neue Ordnungen anzulegen, zu verhandeln und zu beschreiben, immer wieder neue Facetten zu einer Sache hinzuzuordnen (durch Verlinkungen) und damit aus statischem kategorisiertem Wissen ein dynamisches und kontextbezogenes Wissen werden zu lassen. Die Folge: wir müssen in unserem Umgang mit Information neue Wege gehen. Denn wenn Wissen nichts statische Abgeschlossenes ist, sondern etwas unbegrenztes Dynamisches, das sich ständig verändert, dann muss auch unser Umgang mit Information und Wissen ein anderer werden.
Dann lese ich, wie Thomas Pleil mit einiger Verwunderung die Änderung in seinem eigenen Medienverhalten wahrnimmt:
"Ich blogge zwar viel weniger, aber die anderen Kanäle nutze bzw. bediene ich dennoch. Böse könnte man sagen: Informationshappen statt Reflexion. Höflicher ausgedrückt: Die Orientierungsfunktion scheint beständiger zu sein. Alles hat eben seine Zeit."
Hier stellt also jemand, der sich intensiv mit Mediennutzung und Kommunikation auseinandersetzt (und zwar als Lehrender in dem Bereich), dass die intensive Arbeit mit Texten abnimmt, während das schnelle Verarbeiten kleiner Stücke von Text und Gedanken immer mehr an Bedeutung gewinnt - dass also die Kontextualisierung der vielen kleinen Schnipsel und Brocken gleichsam fließend während der Verarbeitung im eigenen Kopf und im Austausch mit anderen geschieht, und weniger, indem lange Texte gelesen oder erzeugt werden.
Und dann habe ich - dank Hinweis von Martin Recke - diesen Blogeintrag zum Thema "Veränderung der Kommunikation durch das Web gefunden. Am Anfang geht es sehr lange um irgendeinen Blogskandal der Nachrichtenagentur AP - ich habe grade nicht die Zeit zu recherchieren, um was es da geht - aber richtig interessant wird es aber der Stelle "Here’s why I think this is all such a mess ...". Denn dort schreibt der Autor über den Gegensatz zwischen "tiefem Lesen" und der Informationsaufnahme durch "vernetztes Umherspringen". Und er erkennt, dass er allein deshalb viel weniger lange Texte aufnimmt, weil er zu beschäftigt damit ist, zwischen den verschiedenen Gedankengängen und Strömen im Netz umherzuspringen, um irgendwie herauszufinden, wie diese vernetzten Gedankenenwicklungen eigentlich funktionieren.
Und damit ist er wieder bei David Weinberger: David vermutet am Ende seines Buches, dass wir letztlich grade dabei sind, eine neue Art Wissen zu erzeugen. Eine Art Wissen, die nicht im Kopf jedes einzelnen stattfindet, sondern als kollektive Diskussion, die in der Gemeinschaft zwischen uns ensteht. Wissen ist nicht mehr die Aufgabe jedes einzelnen Gedankenprozesses, sondern es ist etwas, das wir künftig nur noch im gemeinsamen Austausch erzeugen und entwickeln können.
An einer Stelle in seinem Buch beschreibt David W., wie Kinder heute ihre Hausaufgaben machen: sie haben den Rechner an und jede Menge Messenger offen, und tauschen sich mit lauter anderen Kindern aus, während sie ihre Aufgaben lösen. Die Prüfungen jedoch müssen sie ganz allein durchstehen - obwohl sie sich längst daran gewöhnt haben, dass Wissen eine kollektive Angelegenheit ist.
(Langer Text...)