Aus gegebenem Anlass poste ich jetzt mal eine Sache, mit der ich schon seit rd. drei Jahren auf Vorträgen unterwegs bin, die ich aber noch nie hier im Blog beschrieben habe. Und da ich vor wenigen Tagen in meinen Statistiken gesehen habe, dass ein Leser das Blog genau danach abgesucht hat, und da mittlerweile auch andere beginnen, meine Dreiteilung im Blog zu veröffentlichen, sollte ich es nun vielleicht auch mal selber tun:
Das vollständige Mundpropaganda-Marketing-System ist eine Art Gesamtübersicht über die Möglichkeiten, die es gibt, um in professioneller Weise Mundpropaganda für Marken anzuregen. Es ist übersichtlicher als die entsprechende Liste bei der WOMMA, da es meiner Erfahrung nach letztlich nur aus drei verschiedenen Grundansätzen besteht, die entweder für sich, oder aber gemeinsam genutzt werden können, um Mundpropaganda für Marken und Produkte anzuregen: "Ansteckende Produkte", "Ansteckende Werbung" und "Ansteckende Beziehungen". Es soll demjenigen, der sich mit Mundpropaganda befassen will, den Überblick über mögliche Ansätze vereinfachen. Die entsprechenden Kategorien hier im Blog bieten dann Beispiele zu allen drei Ansätzen.
Ansteckende Produkte
Die Erfolgsgeschichten, die dem Begriff "Viral Marketing" wohl zu seinem verdienten Ruhm verholfen haben, basieren auf Produkten, die sich bei der Nutzung von selbst verbreiten. Der Klassiker Hotmail ist ein Beispiel – der Empfänger erfährt automatisch vom Produkt, indem der Sender es verwendet.
Aber es müssen nicht immer Angebote im Web allein sein, die sich auf diese Weise herumsprechen. In den USA sind die Webkinz-Stofftiere durch geschicktes Hinzufügen "externer Netzwerkeffekte" zum Erfolg geworden: Das Produkt wird nützlicher, wenn Freunde es auch besitzen. In diesem Fall erwirbt der Besitzer mit dem Spielzeug einen Online-Code, um mit einem Abbild des Stofftiers auch im Web spielen zu können. Damit das eigene "Tier" dort nicht allein ist, werben die Kinder dann ihre Freunde an, sich auch Webkinz zu besorgen.
Bei der Benutzung auffallende Produkte sind ebenfalls ansteckend. Einfaches Beispiel: digitale Kameras – durch den eingebauten Monitor konnten die Bilder nach dem Fotografieren direkt herumgezeigt werden, so wurde die Benutzung der Kamera immer auch direkt zur Produktdemo im Freundeskreis.
(Hier im Blog dazu die Kategorie "Ansteckende Produkte" mit weiteren Beispielen.)
Ansteckende Werbung
Dies ist der Bereich, zu dem auch virale Werbefilme gehören. Die Idee besteht dabei darin, dass man – weil das Produkt selbst vielleicht nicht genug Potenzial für Mundpropaganda bietet – so aufmerksamkeitsstarke Werbung entwickelt, dass diese für Mundpropaganda sorgt. Das hat Vor- und Nachteile. Vorteile sind, dass man auch bei verhältnismäßig langweiligen Produkten interessante Effekte erzielen kann, denn hier hängt der Unterhaltungswert ja vor allem vom Einfallsreichtum der Werbekreativen ab. Außerdem unterlaufen diese Spots, wenn sie weitergemailt werden, die "Werbeblockade" vieler Konsumten, denn sie werden von Freunden empfohlen und erhalten daher meistens mehr Aufmerksamkeit.
Nachteile sind, dass man dabei Gefahr läuft, keine wirkliche Mundpropaganda für Marken und Produkte zu erzeugen, sondern die Nutzer möglicherweise sogar vergessen, welche Marke dahinter steckt. Denn je mehr Effekthascherei man für die Unterhaltung betreibt, desto weniger wird über das Produkt oder die Marke gesprochen. Oder es entsteht einfach kein Effekt im Markt: Während die virale „Whazzup“-Kampagne für Budweiser um die ganze Welt lief, ging der Absatz der US-Biermarke zurück. Viele Leute haben sich über die albernen Spots gefreut, sogar eigene Varianten gedreht und in Umlauf gebracht. Mehr Budweiser haben sie nicht gekauft. Außerdem darf man sich keine Illusionen machen – virale Spots zu verbreiten, kostet einigen Aufwand, denn man muss mit den tausenden verrückten Filmen konkurrieren, die ohnehin täglich bei YouTube & Co hochgeladen werden.
(Hier im Blog werden weitere Beispiele in der Kategorie "Ansteckende Werbung" diskutiert.)
Ansteckende Beziehungen
Aus verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zu Mundpropaganda ist bekannt: Besonders hohe Zufriedenheit mit einer Leistung ist nicht der einzige Faktor, der für Mundpropaganda sorgt. Kunden sprechen auch dann positive Empfehlungen aus, wenn sie eine persönliche Beziehung zum Unternehmen wahrnehmen. Darüber hinaus ist beobachtet worden, dass Menschen dann gern über ein Unternehmen berichten, wenn sie an Marketingprozessen aktiv beteiligt werden. Und schließlich ist immer wieder beschrieben worden, dass starke Involvierung – also der Grad der Bereitschaft, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen – zur Mundpropaganda anregt
Die Mundpropaganda für ein Unternehmen lässt sich also verbessern, wenn man darauf baut, dass echter Austausch und Interaktion stattfinden. Wer Mundpropaganda für seine Marke anregen will, sollte auf Beziehungspflege, Partizipation und aktive Involvierung setzen. Jahrzehntelang war es jedoch unmöglich und auch gar nicht erwünscht, für große Marken mit Millionen von Kunden diese Art von Austauschbeziehungen zu organisieren. Unternehmen haben Millionenstückzahlen produziert, von den Kunden wurde erwartet, dass sie in Millionenstückzahlen kaufen. Seitens der Unternehmen also eine einfache Sender-Empfänger-Logik, ganz ohne Gespräch, Austausch, Partizipation.
Heute ändert sich das. Erstens, weil die Kunden immer anspruchsvoller werden. Wir haben keine Verteilermärkte mehr, sondern der Kunde wird zunehmend wirklich zum anspruchsvollen König. Und zweitens, weil das Web heute (als "Nummer 2.0" spätestens) viel mehr Austausch und Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden ermöglicht. Corporate Blogs sind also letztlich auch ein Instrument, um die Mundpropaganda im Netz zu unterstützen.
Um die Beziehungspflege zur Stärkung der eigenen Mundpropaganda zu nutzen, kann man den Kunden aber auf ganz unterschiedliche Weise entgegenkommen. Manche Firmen bieten ausgewählten Fans exklusiven Zugang zu Produkten und Informationen. Microsoft oder Google organisieren dafür beispielsweise Beta-Tests. Sie beziehen dabei tausende Nutzer in die Vermarktung neuer Produkte ein, denn dank der Tests können die Fans sich in ihrem Bekanntenkreis als gut informierte Markeninsider darstellen. StudiVZ hat rund 400 „Campus Captains“ angeworben, die als Insider vor Ort an den Universitäten neue Mitglieder für die Plattform rekrutiert haben.
Und wir bei trnd bieten letztlich auch einen Kanal zur Rekrutierung solcher Markeninsider für große Konsumgüterhersteller. Ausgestattet mit exklusiven Vorinformationen können sie neue Produkte mit Freunden testen, anderen davon erzählen, in direkten Austausch mit dem Unternehmen treten, auf Blogs darüber schreiben und auf diese Weise Mundpropaganda auslösen.
(Im Blog sind die dazu passenden Kategorien "Ansteckende Beziehungen" und "Open Source Marketing".)
Das Word-of-Mouth-Marketing System
Alle diese Ansätze können zur Übersicht in einem einfachen Schaubild zusammengefasst werden. Wenn man davon ausgeht, dass die Anregung von Mundpropaganda im Marketing durch die Entwicklung und Ausgestaltung der Produkte, durch Organisation entsprechend „ansteckender“ Werbung sowie durch den Aufbau dialogbasierter Beziehungen gelingt, sieht das Word-of-Mouth-Marketing-System folgendermaßen aus:
Zur Erläuterung sollen ein paar Beispiele in dieses Raster eingeordnet werden: Eine Kampagne, bei der Nutzer oder Kunden eingeladen werden, selbst Werbung für eine Marke zu entwickeln, würde danach im Überschneidungsbereich zwischen beziehungs- und werbungsbasierter Anregung von Mundpropaganda liegen. Die Kunden fühlen sich ernst genommen, können selbst Ideen und Gedanken beisteuern – es entsteht eine Beziehung. Das Ergebnis ist Werbung, mit der sich diese Kunden stärker identifizieren und mit der sie involviert sind, über die sich also zu reden lohnt.
Ähnlich einzuordnen wäre ein temporär aufgesetztes Weblog, das ein Sponsoring-Event dialogartig begleitet. Event-Sponsoring ist letztlich immer eine Image-Werbemaßnahme, das Blog – als Dialogplattform – schafft dazu Austausch und Involvement im Zusammenhang mit dem Event. Ein revolutionäres neues Produkt, das bei einer Messe für viel Begeisterung und Gesprächsstoff sorgt, wäre produktbasierte Anregung von Mundpropaganda. Wer dagegen ein „Open Source“-Innovationsprojekt organisiert, bei dem Kunden eingeladen werden, Beiträge und Anregungen für ein neues Produktdesign zu liefern (ein anderes Schlagwort dafür: „Crowdsourcing“), befindet sich im gemeinsamen Bereich zwischen Produkt- und beziehungsbasierter Mundpropaganda. In ähnlicher Weise lassen sich so gut wie alle weiteren Marketingtaktiken in diesem Modell einordnen.
So viel erstmal zum Mundpropaganda Marketing System. Wer Interesse an dieser Aufteilung hat: In meiner Doktorarbeit, die voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte erscheint, außerdem im neuen FOCUS Jahrbuch 2008, das jetzt irgendwann erscheinen sollte, beschreibe ich das System noch einmal ausführlicher.