Die Kollegen von der Conceptbakery bieten auf ihrem neuen Filmportal nun Viral Video Crowdsourcing an. Der Grundgedanke besteht darin, dass - so die Macher - "die besten Ideen oftmals dort entstehen, wo man sie kaum erwartet und in der 'breiten Masse' eine unheimliche Kreativität schlummert". Vermarktet wird das Ganze als Discount-Lösung: Get 10 viral clips for the price of one.
Funktionieren soll das folgendermaßen: Ein Unternehmen bestellt über die Seite seine Werbung, außerdem muss es 5000 EUR überweisen. Derweil wird das Briefing geprüft. Wenn das Geld angekommen ist, geht das Briefing an Laien-Filmproduzenten raus, die (offenbar) auf der Plattform registriert sind. Diese reichen dann Ideen ein, die gemeinsam optimiert werden. Schließlich werden die zehn besten Ideen ausgewählt und die Produzenten werden beauftragt, die Filme zu drehen und auf einen passwortgeschützten Bereich des Servers hochzuladen. Dort werden die Filme dann von den Leuten bei der Moviebakery auf Qualität geprüft und ggf. wird um Nachbesserung gebeten. "Erst dann erhält der Filmproduzent seine Bezahlung." (500 EUR sind das.) Wenn alle 10 Filme fertig sind, bekommt der Kunde die Nachricht, den Rest zu bezahlen, und erst wenn das passiert ist, gibt es Zugriff auf die Filme. Wenn dann einer oder mehrere Filme vom Kunden ausgewählt sind, werden diese auf verschiedenen Videoplattformen verteilt. Und nicht zuletzt: da manche Plattformen Geld für eingebundene Werbung bezahlen, kann das beauftragende Unternehmen und auch der Kreative sogar - hurra - Geld mit der eigenen Werbung verdienen!
Meiner Ansicht nach krankt das System an einigen Stellen. Erstens, Amateur-Content: klar, es gibt viele Leute, die verrückte oder lustige Ideen haben. Aber die überwältigende Mehrheit stellt diese Inhalte täglich ins Netz, ohne für ein Unternehmen zu arbeiten (60.000 neue Videos auf YouTube, jeden Tag!). Das heißt, sie sind in ihrer Kreativität völlig frei und unbeschränkt, können machen, was sie wollen. Die Konkurrenz unterhaltsamer Filme im Netz ist daher enorm hoch. Wenn nun Marken darauf setzen, dass sie mit minimalem finanziellem Aufwand (10.000 EUR ist absolut gar nichts), 10 (!) vernünftige Filme zu erhalten, die gegen diesen Wust an unterhaltsamem Content ankommen können, dann wird irgendjemand irgendwo über's Ohr gehauen. Wie soll ein Filmemacher für 500 EUR einen Film produzieren, der etwas wert ist, und bei dem er nicht draufzahlen muss? Klar, es gibt viele Werbewettbewerbe, bei denen Leute auch so mitmachen, ohne Geld und aus freien Stücken. Aber das ist genau der Punkt: Dort fließt kein Geld, aber dafür ist auch von Anfang an klar, dass es ein Amateurwettbewerb ist. Hier wird suggeriert, dass es sich um einen professionell geführten Prozess handelt. Wenn man aber einen professionell gemanagten Prozess aufsetzt, aber keine professionellen Preise zahlt, ist das eine kippelige Angelegenheit.
Zweitens, der Prozess: welches Unternehmen gibt blind 10.000 EUR aus? Und danach sieht das Verfahren aus: die ersten 5000 EUR sind fällig, bevor es überhaupt losgeht, die zweiten 5000 EUR, bevor das Unternehmen die erste Idee zu sehen bekommt. Bei den offenen Werbewettbewerben wird üblicherweiser erst am Schluss dem Gewinner ein Preis ausgezahlt. D.h. das Unternehmen sieht, was es bezahlt. Manch ein Marketingverantwortlicher mag gutgläubig sein, aber darauf zu bauen, dass genug Marketingverantwortliche mit entsprechendem Geld mitmachen, halte ich für mutig. Es wäre ja denkbar, das Unternehmen in der Prüfung der Konzeptphase mit einzubinden, was aber hier wohl nicht geschieht.
Ich bin grundsätzlich skeptisch, was den Erfolg viraler Filme im Netz betrifft. Die meisten Filme sterben im Millionengrab YouTube einen stillen Tod. Wenn ein Film es aber doch schafft, dank professionell durchgeführtem Viral Seeding von Millionen von Leuten gesehen zu werden, dann ist es häufig leider doch so, dass die Marke und ihre Kommunikationsbotschaft dabei untergehen, denn bei diesen Filmen muss immer der Unterhaltungswert ganz weit vorn stehen, sonst funktionieren sie nicht. Das geht fast immer auf Kosten der Marke oder der Message. Die wenigen Beispiele, die alles richtig machen, sind rare Glanzstücke, die von absoluten Vollprofis für teures Geld entwickelt wurden.
Andererseits: Conceptbakery ist vor allem auch in den USA aktiv, und dort gehören Viral Clip- und OPen Source Advertising-Wettbewerbe ja im Marketing mittlerweile fast schon zum guten Ton. Vielleicht funktioniert das Konzept in den USA besser? Außerdem scheint mit der Swiss schon ein erster großer Kunde angebissen zu haben. Vielleicht bin ich also miesepetriger als es das Konzept verdient, und die Sache funktioniert besser als man denkt. Aber ich würde dennoch empfehlen, sowohl die Einbindung des Kunden als auch die Bezahlung der Kreativen nochmal zu überdenken. Insbesondere, was die Finanzierung der Produktionskosten angeht.
Nachtrag 12:41 Uhr: Felix von Conceptbakery hat einen meterlangen Kommentar geschrieben (der längste Kommentar seit der Geschichte dieses Blogs, würde ich sagen...) und setzt sich detailliert mit allen meinen Kritikpunkten auseinander. Bitte auch lesen und mitdiskutieren. ;-) Ein Hinweis noch: ich hatte nie andeuten wollen, dass Swiss womöglich kein Kunde bei Conceptbakery bzw. Moviebakery ist und dass das nur eine Behauptung sei.