Ich bin grade bei der 3. Internationalen Word of Mouth Marketing Konferenz in Amsterdam. Den gestrigen Tag konnte ich leider nicht mitmachen, weil ich beim Symposium Oekonomicum in Münster als Sprecher war. Heute bin ich selbst mit einem Vortrag dran. Gestern abend hatten wir ein sehr nettes Abendessen mit lauter Leuten aus der Branche, ich habe mich sehr gefreut, ein paar Leute wiederzusehen, z. B. Joe Chernov von BzzAgent, oder heute morgen Claus Moseholm von GoViral, den ich das letzte Mal im Jahr 2004 gesehen hatte, als wir uns kennengelernt haben...
Heute morgen ist als erster Peeter Verlegh von der RSM Erasmus University dran. Er wird über "The Psychology of Word of Mouth" sprechen. Er unterrichtet Leute aus dem Grundstudium über Mundpropaganda Marketing... Allein das finde ich schon mal sehr interessant! Er interessiert sich fast ausschließlich für offline Mundpropaganda.
Als Definition für Mundpropaganda benutzt er die von Arndt (1967), die eigentlich alle benutzen. Er will über die Psychologie des Austauschprozesses bei Mundpropaganda sprechen. Er hat eine große qualitative Studie gemacht, Interviews mit 200 Konsumenten. Die Fragen drehten sich darum, warum Leute Dienstleistungen an andere empfehlen. Die Ergebnisse spiegeln wider, was wir bereits aus anderer Literatur kennen. Wichtige Motivation sind außergewöhnliche Erlebnisse. Beispielsweise besonders hilfreiche oder vorausschauende Mitarbeiter, die sich mehr kümmern als erwartet. Das Service-Erlebnis als weiterer Grund. Dann kann auch der Preis ein Aspekt sein, über den gesprochen wird.
Sie haben dann die Mitglieder von Buzzer.nl zu ihrem WOM-Verhalten bei verschiedenen Produkten befragt. Wichtige Gründe, warum Leute reden: Produktvorteil. Innovationsgrad. Sichtbarkeit der . Kompatibilität. Nicht wichtig: 'Trialability', leichte Nutzbarkeit, Image. Damit adaptiert er Ergebnisse aus Diffusion-Studien, die es schon gab, auf WOM. Dass Trialability kein Grund ist, widerspricht allerdings Everett Rogers, der dieses in 'Diffusion of Innovations' als wichtigen Faktor für Diffusion nennt.
Anschließend hat er Motivationen dafür abgefragt, warum Leute Dinge empfehlen. Enthusiasmus - Leute wollen ihre Begeisterung mit anderen teilen. Altruismus - der Sprecher möchte, dass andere einen Vorteil haben. Hilfsbereitschaft gegenüber dem Unternehmen - Leute wollen der Firma helfen. Ego-Involvement - Leute wollen sich über Mundpropaganda über neue Informationen selbst inszenieren, Aufmerksamkeit bekommen.
Insgesamt aus meiner Sicht hier nicht wirklich Neues. Auf die eine oder andere Weise gibt's das alles schon in anderer Literatur.
Nun geht es um den Empfänger. Warum lassen sich Leute von Mundpropaganda beeinflussen. Er zitiert jetzt eine Studie von Herr et al (1991), in der gefunden wurde, dass die Begeisterung von Leuten in einer Konversation eine ganz andere Wirkung auf den Empfänger hat als eine Werbung beispielsweise. Peeter weist hier darauf hin, dass diese Komponente bei Online WOM fehlt. Relevanz der Message ist ein weiterer Faktor, der eine Rolle spielt. Die Kommunikation in einem Gespräch spielt sich üblicherweise in derselben sozialen Gruppe ab und dreht sich um Inhalte, welche die Leute wirklich interessieren.
Hier fehlen meiner Ansicht nach eine Reihe wichtiger Faktoren. Der fehlende Bias des Senders ist meiner Ansicht ein Schlüsselthema hier, hat er aber nicht erwähnt.
Er beschreibt jetzt eine Übersicht dazu, auf welche Weise Unternehmen sich an dem Mundpropaganda-Thema beteiligen können. Vier Arten:
- 'Observe': Unternehmen können sich dafür interessieren, was die Konsumenten reden. Mundpropaganda muss sozusagen gemessen werden.
- 'Facilitate': Unternehmen können den Austausch von Mundpropaganda unterstützen, durch Review-Sites beispielsweise. Jetzt sagt er, der Nachteil sei, dass man auf diese Weise auch negative Mundpropaganda bekommen kann... Da kann ich natürlich nicht zustimmen. Die negative Mundpropaganda gibt's in jedem Fall.
- 'Moderation': Jetzt geht's darum, einen Einfluss auf die Mundpropaganda zu nehmen. Wie können Unternehmen Einfluss nehmen? Letztlich verweist er auf Buzz Agenturen und sagt, das können die besser. Ihn interessiert, ob dabei tatsächlich Mundpropaganda entsteht - was für eine Art Mundpropaganda entsteht, wenn Unternehmen sich einmischen. Die ganzen Fragen, die es auch aus den USA gibt, zu den ethischen Dimensionen von WOM Marketing.
- 'Participate': Der vierte Level. Ein Beispiel ist, dass Unternehmen die Diskussion aktiv unterstützen. So zum Beispiel, wenn Unternehmen in Foren etc. unterwegs sind und dort Kritiker durch spezifisch gerichtete Kommunikation zu drehen versuchen. Er beschreibt in diesem Kontext auch 'Stealth Marketing'-Taktiken, also wenn Unternehmen sich im Web als Konsumenten ausgeben und Produkteschreibungen faken.
Abschließend geht es um Incentives. Er bezieht sich auf eine Studie von Ryu & Feick (2007), die ich interessanterweise auch grade gelesen hatte. Kernaussage ist, dass Konsumenten eher an 'weak ties' eher empfehlen, wenn es Incentives gibt. Peeter befasst sich jetzt mit der Frage, was das für die Empfänger bedeutet. Denn die Forscher legen eigentlich nahe, dass die Empfänger vor allem aufgrund des unkommerziellen Aspekts der Mundpropaganda reagieren. Peeter vermutet also, dass durch Incentive motivierte Mundpropaganda eigentlich keine mehr ist - sondern dass es sozusagen zu einem Selling-Prozess wird, der anders funktioniert. Folgen: Effektivität sollte geringer sein. Es kann Widerstand aufgebaut werden. Ohne Incentive ist Mundpropaganda ein Akt von Freundlichkeit. Mit Incentive wird aus dem Sprecher ein Verkäufer und weniger vertrauenswürdig.
Abschließendes Fazit: Man sollte beim Word of Mouth Marketing mit Incentives sehr vorsichtig umgehen, damit man den Charakter des Austausches nicht in einen Sales-Prozess verwandelt.
So. Jetzt bin ich dran.