Gestern hatte ich die Gelegenheit, beim NPS-Anwendertag vom ZEM der Uni Bonn zu sprechen. Es war eine sehr anregende Veranstaltung, mit vielen interessanten Gästen und Sprechern. Vor allem natürlich Fred Reichheld, der das NPS-Konzept gemeinsam mit Bain & Company und Satmetrix entwickelt hat. Der Net Promoter Score ist ein Maß, das auf leicht anwendbare Weise Auskunft über Kundenloyalität geben soll. Anstatt den Kunden unzählige Fragen zum Kaufverhalten und zur Zufriedenheit zu stellen, aus denen komplexe Indizes abgeleitet werden, schlägt Reichheld vor, zunächst nach nur einer einzigen Sache zu fragen: „Auf einer Skala von 0 bis 10, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie unser Unternehmen/unser Produkt an Freunde und Bekannte weiterempfehlen würden.“ Die Bereitschaft zu positiver Mundpropaganda wird also als entscheidendes Maß für Loyalität gewertet, denn nur wer wirklich überzeugt ist, empfiehlt auch guten Gewissens weiter. Die Kunden, die 9 oder 10 sagen, werden als ‚Promoters’ gewertet – es sind Leute, die ihren Freunden gegenüber begeistert über das Unternehmen oder die Produkte sprechen (würden). Wer 6 oder weniger sagt, gilt als ‚Detractor’, also als jemand, der mehr schadet als nützt. Dazwischen liegen die ‚Passives’. Wenn man nun den Anteil der Promoters (in %) ausrechnet und davon den Anteil Detractors abzieht, erhält man sozusagen den „Promoters-Überhang“ oder „Nettoanteil Promoters“ – den Net Promoter Score. Unternehmen mit besonders loyalen Kunden, wie Harley-Davidson, Porsche oder Apple, haben einen NPS von deutlich über 60. Viele Mobilfunkunternehmen liegen dagegen im negativen Bereich, haben also mehr Detractors als Promoters. Reichheld und Satmetrix haben dann gezeigt, dass dieser NPS bei den meisten Unternehmen und in den meisten Branchen mit dem Wachstum korreliert. Mit anderen Worten, je höher der NPS, desto stärker wächst auch ein Unternehmen. Was leicht einzusehen ist: wenn es mehr Leute gibt, die Produkte eines Unternehmens weiterempfehlen als dagegen sprechen, hat die Marke quasi ihre eigene Sales Force aus begeisterten Kunden. Und so entsteht gesundes nachhaltiges Wachstum. Wir verwenden den NPS bei trnd, um zu zeigen, wie sich das Empfehlungsverhalten der Teilnehmer während unserer Kampagnen verbessert.
Reichheld hielt den Keynote-Vortrag. Ich habe ein wenig per Video mitgeschnitten und werde hoffentlich ein paar Ausschnitte posten können (wenn ein paar nützliche Szenen dabei sind). Sein Fokus liegt vor allem auf der sogenannten ‚Golden Rule’, in Deutschland vielleicht der kategorischer Imperativ. Mit anderen Worten sagt er, dass man dann zu einem sehr guten NPS kommt, wenn man als Unternehmen seine Kunden grundsätzlich so behandelt, wie man als Kunde selbst auch behandelt werden will. Er gibt zu, dass das zunächst sehr idealistisch klingt, erklärt aber, dass es letztlich betriebswirtschaftlich absolut sinnvoll ist. Denn nur so begeistert man Kunden, die immer wieder kommen und dann auch ihre Freunde mitbringen. Er nannte verschiedene Beispiele, unter anderem die Apple Stores. Er hat erzählt, dass Apple in ihren Läden genau auf dieses Prinzip setzen: anstatt zu versuchen, dort so viel wie möglich zu verkaufen, setzen die Läden alles daran, ihre Besucher so intensiv wie möglich über die Apple-Produkte aufzuklären, beim Aufrüsten der Rechner zu helfen, Tutorials anzubieten und auf jede mögliche Weise weiterzuhelfen. Der Effekt: die Kunden gehen weg und erklären wiederum vielen anderen Leuten, wie großartig Apple funktioniert, werden selbst zu Verkäufern und Erklärern. Mittlerweile sind die Apple Stores die am stärksten wachsende Computer-Retail-Kette in den USA. Ich hätte anschließend gern noch mit Reichheld gesprochen, aber er ist sofort weitergefahren, zu einem Termin mit Telekom-Chef Obermann. Ich kann mir vorstellen, dass der NPS ein Thema ist, für das sich die Telekom derzeit interessieren dürfte... sollte...
Anschließend war James Young von Satmetrix dran. An seinem Vortrag fand ich interessant, dass sie bei ihrer Arbeit mit dem NPS offenbar auch stark im B2B-Bereich arbeiten. Sie helfen beispielsweise Unternehmen wie BearingPoint – einer Beratungsfirma – dabei, über den NPS zu ermitteln, wie gut ein Beratungsprojekt gelaufen ist und ob das beratene Unternehmen die Firma weiterempfehlen würde, oder ob nicht, und woran das jeweils liegt. Mit James habe ich mich in den Pausen mehrfach noch sehr angeregt unterhalten.
Anschließend gab es einen Vortrag von Gavin Sugden von T-Mobile UK. Bei T-Mobile wird der NPS bereits unternehmensweit eingesetzt. In Deutschland arbeiten sie dafür mit der Uni Bonn zusammen und haben deswegen auch diesen Anwendertag mit ausgerichtet, in England ist Paul Marsden ein Partner für die Arbeit mit dem NPS – er war auch vor Ort. (Wir machen ja auch gemeinsame Projekte mit ihm.) Die wichtigsten Erkenntnisse bei T-Mobile waren: Erstens, Detractors entstehen, weil sogenannte Hygiene-Faktoren (also die grundlegenden Aspekte der Dienstleistung) nicht stimmen. Um diese muss man sich daher zuerst kümmern, denn Paul hat errechnet, dass ein Rückgang der Detractors erstmal mehr bringt, als ein Zuwachs an Promoters. Zweitens, das NPS-Konzept muss im ganzen Unternehmen durchgesetzt werden, nur dann können die wirklich relevanten Veränderungen, die den NPS beeinflussen, umgesetzt werden. Dafür organisieren sie u. a. regelmäßig NPS-Abstimmungsmeetings. Und nicht zuletzt: man muss die Arbeit mit dem NPS als andauerndes Lernprojekt ansehen – richtig mit dem Instrument umzugehen, lernt man erst mit der Zeit.
Dann war ich dran. Ich hatte eigentlich vor, mein Forschungsprojekt für die Doktorarbeit vorzustellen. Als ich aber festgestellt habe, dass hier ein ganz klarer Fokus auf Anwendungsbezug liegen sollte, habe ich spontan einen anderen Vortrag improvisiert und rd. 20 Minuten ohne Charts gesprochen. Mein Thema könnte man unter den Titel „Cluetrain drives NPS“ stellen. Da unternehmensseitig für die Umsetzung des NPS-Konzeptes die Fähigkeit zum Dialog und zum Zuhören wichtig ist, passt es sehr gut zur Grundidee des Cluetrain Manifesto: „Markets are conversations“. Ich habe daher kurz mit dem Cluetrain Manifesto eingeleitet, dann erläutert, warum auch unterschiedliche Wissenschaftsliteratur nahelegt, dass man die Mundpropaganda für das eigene Unternehmen über Dialogfähigkeit positiv beeinflussen kann und dann anhand verschiedener Beispiele erläutert, wie das in der Marketing-Realität aussehen kann, unter anderem natürlich auch durch unsere Arbeit bei trnd. Am Schluss habe ich die Verbindung zum NPS über meine eigene Forschung geschlagen. Trotz (oder wegen?) fehlender Folien kam mein Vortrag recht gut an, denke ich.
General Electric nutzt den NPS schon seit längerem, insbesondere, weil deren Chef Jeff Immelt sich von dem Konzept hat überzeugen lassen. Michael Paulus von GE Healthcare hielt einen Vortrag über ihre Arbeit damit. Die aus meiner Sicht wichtigsten Erkenntnisse aus seinem Vortrag: Man muss ganz oben anfangen, das Konzept muss vom Top Management durchgesetzt werden. Denn es bedeutet letztlich starke Veränderungen im ganzen Unternehmen, und die bekommt man nicht hin, wenn nicht von oben angesagt wird, dass alle mitmachen sollen. Besonders interessant fand ich außerdem, dass man bei GE auch auf eine Art Mitarbeiter-NPS achtet: Man kann nur seine Kunden begeistern, wenn die Mitarbeiter selbst begeistert sind. Daher versucht man zunächst sicherzustellen, dass die GE-Mitarbeiter loyal sind und das Unternehmen auch als Arbeitgeber weiterempfehlen würden.
Paul Marsden hat eine recht einfache Erklärung dazu vorgestellt, warum jemand Promoter, Passive oder Detractor wird: wenn die Erwartungen eines Kunden übererfüllt werden, ist er Promoter, werden sie genau getroffen, ist er passiv, werden sie nicht erfüllt, ist er Detractor. Einfaches Fazit: immer daran arbeiten, dass man Erwartungen übererfüllt. Was natürlich viel damit zu tun hat, welche Erwartungen man zunächst erzeugt. Das beweist recht anschaulich, warum eine fette Werbekampagne für ein schlechtes Produkt der beste Weg in den Ruin ist: man schafft viel Erwartung, die dann nicht erfüllt werden kann. Eine Armee von Detractors entsteht und macht alle Marketingbemühungen zunichte. Sehr gut kann man diesen Effekt beobachten, wenn ein schlechter Film dank viel Marketing zum Erfolg werden soll.
Raimund Schmolze von T-Mobile in Deutschland sprach dann über die Erfahrungen mit dem NPS hier. An seinem Beitrag fand ich bemerkenswert, dass er sehr ehrlich gesagt hat, wie schwer es ist, einen Riesenkonzern wie die Telekom anhand der ‚Golden Rule’ umzugestalten. Er sagte, es sei einfach sehr schwer, dem Unternehmen beizubringen, direkt mit den Konsumenten zu reden; insbesondere, zumal dafür in den meisten Fällen ja auch noch externe Unternehmen beauftragt werden.
Es gab noch weitere Vorträge, unter anderem von einem Marktforscher, der dem NPS-Konzept gegenüber recht kritisch eingestellt war. Das war interessant, hat die Diskussion gegen Ende noch einmal gut angeregt. Ein anderer Marktforscher hat NPS-Scores aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen verglichen. Mein Fazit war, dass man nicht verschiedene Länder-NPS-Scores gegeneinander benchmarken darf, sondern nur innerhalb einer Kultur. Außerdem haben drei Forscherteams von der Uni ihre Projekte vorgestellt. Besonders interessant fand ich die Arbeit von Alexandra Borsch, die – passend zum GE Healthcare Vortrag – den Mitarbeiter-NPS verschiedener Unternehmen bestimmt und herauszufinden versucht hat, was ihn beeinflusst. Als eine Art Anpassung eines Marketingkonzeptes auf die Human Ressources ist das aus meiner Sicht interessant, denn ich arbeite in meiner Arbeit genau in die Gegenrichtung – ich wende ein Konzept aus den Human Ressources für das Marketing an. Katarzyna Bazanski und Katharina Oerder haben gezeigt, dass es offenbar weder von der Persönlichkeit des Kunden noch von ganz allgemeinen NPS-Treibern abhängt, welchen NPS ein Produkt hat, sondern es immer daran liegt, inwieweit das einzelne Produkt in der jeweiligen Situation überzeugen kann.
Abschließend: dank an die Uni Bonn für einen spannenden Tag, viele Anregungen und gute Kontakte!
Letzte Kommentare