Mit viel Interesse habe ich die Kommentare zu meinem Eintrag 'Über den Drang zu empfehlen' gelesen. Besonders interessant fand ich den Kommentar von cyberfreak77, der schrieb:
"Ich habe mir in der Vergangenheit schon des öfteren die Frage gestellt warum Menschen z.B. ihren Anwalt oder ihren Psychiater als kompetent weiterempfehlen obwohl sie nie bei einem anderen waren und keinen Vergleich haben. Die Frage ist leider auch unbeantwortet geblieben... :-)"
Auf diese Frage gibt es vielleicht eine Antwort: im Jahr 1992 wurde von Karen File, Ben Judd und Russ Prince im Journal of Services Marketing der Artikel "Interactive Marketing: The Influence of Participation on Positive Word of Mouth and Referrals" veröffentlicht. "Interactive" darf man hier nicht missverstehen – es dreht sich dabei keineswegs um Marketing im Internet, dafür war es 1992 vielleicht noch ein wenig früh. Mit ‚interactive’ wurde hier gemeint, dass das Marketing aufgrund der Interaktion mit den Kunden entsteht.
Bei Dienstleistungen – und darum ging es den Autoren – ist Mundpropaganda besonders wichtig, denn meistens lässt sich die Qualität einer Dienstleistung (wenn überhaupt) erst nach der Durchführung ermessen. Der Friseur ist ein gutes Beispiel. Ob man einen guten Haarschnitt bekommt, weiß man meistens erst hinterher. Die potenziellen Kunden achten also besonders auf die Mundpropaganda derer, die bereits Erfahrungen gesammelt haben, weil es kaum andere Wege gibt, etwas über die Qualität des Anbieters herauszufinden. Im von cyberfreak77 beschriebenen Fall dreht es sich allerdings um Dienstleistungen, die sogenannte Vertrauenseigenschaften haben. D.h. selbst nach Durchführung der Dienstleistung muss der Kunde darauf vertrauen, dass er gut beraten wurde, da er kaum die Möglichkeiten einer objektiven Überprüfung hat. Für diese Art Dienstleistung ist Mundpropaganda besonders wichtig. Warum aber empfehlen Leute eine Dienstleistung, die sie eigentlich gar nicht beurteilen können?
File, Judd und Prince vermuten, dass die Art der Kundenmitwirkung bei der Dienstleistung mitbestimmt, wie viel und welche Art Mundpropaganda entsteht. Mit anderen Worten: je mehr und je vielfältiger der Kunde bei der Dienstleistung mitmachen und mitbestimmen kann, desto positiver wird er über die Erfahrung reden. Überprüft haben sie das dann, indem sie 331 Leute interviewt haben, die von Anwälten zu Immobilienfragen beraten wurden. Die Forscher konnten – zumindest an dieser Stichprobe – zeigen, dass ihre Annahme zutraf: vier Dimensionen der Mitwirkung sind wichtig, um positive Mundpropaganda anzuregen und zu unterstützen: Greifbarkeit, Mitgefühl, Anwesenheit und als wertvoll wahrgenommener Austausch. Je erreichbarer, je mitfühlender die beratenden Anwälte wahrgenommen wurden, je mehr gemeinsame Treffen und nützlichen Austausch es gab, desto eher waren die Kunden hinterher bereit, den entsprechenden Anbieter auch an andere weiter zu empfehlen, völlig unabhängig davon, wie sie die Leistung selbst einschätzten.
Wer also die Kunden einbindet, mitmachen, sich beteiligen lässt, der wird positive Mundpropaganda bekommen, selbst wenn es schwer ist, die Leistung wirklich einzuschätzen. Denn die Kunden bekommen damit das Gefühl, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Und allein dadurch wird für sie subjektiv das Risiko minimiert, eine schlechte Leistung zu erhalten. Wenn also – um zur Frage zurückzukehren – ein Psychiater oder Anwalt für intensive Interaktion zur Verfügung steht und auf den Kunden oder Patienten eingeht, schafft er Vertrauen und regt auf diese Weise Mundpropaganda an. (Das ist übrigens auch ein Grund, warum wir bei trnd auf Mitmach-Marketing setzen.)
Es gibt noch ein anderes Paper (leider habe ich grade die Quelle nicht da), in dem gezeigt wird, dass auch dann mehr positive Mundpropaganda entsteht, wenn Kunden eine persönliche Beziehung zwischen sich und den Mitarbeitern eines Unternehmens wahrnehmen. Auch dieser Effekt wird im Sinne des Anwaltes oder Psychiaters wirken, denn beiden sollte es gelingen – wenn sie ihre Arbeit halbwegs gut machen – derartige persönliche Beziehungen aufzubauen.