Bob Garfield schreibt für Advertising Age (den US-amerikanischen Über-Bruder von Horizont und W&V) und macht sich in den vergangenen Jahren damit einen Namen, dass er das Ende der Werbeindustrie - zumindest in ihrer heutigen Form - anmahnt bzw. voraussieht. Ein aktueller Artikel unter dem Titel "Bob Garfield's Chaos Scenario 2.0" macht genau dort weiter. Einerseits gefällt mir die Sensationsgier nicht so gut, die aus diesen Artikeln spricht. Aber andererseits scheint er letztlich mit vielen seiner Aussagen richtig zu liegen, denn er hat Zahlen, mit denen er das alles illustriert. Und wenn das wirklich alles so ist wie von Garfield dargestellt, dann hat in den USA bereits das Hauen und Stechen begonnen, das mit vielen Kadavern auf der Madison Avenue (die Straße in New York City, die als Inbegriff der Werbeindustrie in den USA gilt, und damit vielleicht auch der Werbeindustrie in der westlichen Welt) enden wird. Und dann lebt die deutsche Werbelandschaft noch in einer traumhaften Welt, die wohl von den Umwälzungen noch nicht erfasst worden ist. Die Frage ist: wird auch sie davon erfasst? Hier ein paar Auszüge:
"Seit Frühling 2005 hat sich (...) der Anteil an digitalen Videorekordern [mit denen man Werbung überspringen kann] von 10% auf 20% verdoppelt, und Forrester sagt voraus, dass die Hälfte aller US-Haushalte in den kommenden drei Jahren damit ausgerüstet sein werden -- was deutlich über der Grenze liegt, bei der 40% aller Werbetreibenden sagen, dass sie dann ihre Fernsehwerbebuchungen dramatisch reduzieren werden. Derweil, nach Jahren soliden Wachstums trotz sinkender Zuschauerzahlen, lag der Vorverkaufsmarkt für TV-Werbeplätze vergangenes Jahr um 5% im Minus. Coca-Cola, nie besonders engagiert beim Vorkauf der Werbeplätze, zog sich komplett daraus zurück. Ebenfalls Johnson & Johnson, die $ 250 Millionen ins Netz geschoben haben. Laut TNS haben General Motors $ 600 Millionen von ihren Werbeausgaben im Jahr 2006 weggestrichen. (...) Die Hälfte der 109 national agierenden Werbetreibenden in den USA, die von Forrester 2006 befragt wurden, haben erklärt, dass ihre Werbe- und Media-Agenturen nicht gut dafür vorbereitet seien, mit den Veränderungen in der Fernsehlandschaft umzugehen."
Eine entscheidende Herausforderunge besteht laut Garfield darin, dass in der sich entwickelnden veränderten Medienwelt keine oder kaum noch Möglichkeiten bestehen werden, enorme Publikumsmassen an einer Stelle zu erreichen. Als Beispiel spricht er über Procter & Gamble:
"Procter & Gamble spricht seit 13 Jahren davon. Wenn Chairman und CEO A. G. Lafley erklärt "Wir müssen unsere Art und Weise an Konsumenten zu vermarkten neu erfinden", dann meint er nicht "Wir brauchen einen Ort, an dem wir 38 Millionen Menschen zur gleichen Zeit versammeln, um ihnen zu erklären, dass sie nicht ihr Charmin auswringen sollen." Oder wie sein Marketing Chef Jim Stengel der 4A Media Conference in diesem Monat mitgeteilt hat: "Was wirklich brauchen ist ein Bewusstseinswandel, der uns für die heutigen Konsumenten relevant bleiben lässt, ein Bewusstseinswandel, der vom 'Anbieten und Verkaufen' zum Aufbauen von Beziehungen führt." Und er hat dabei nicht behauptet, dass Werbung in den Medien der Weg dahin sei. Ganz im Gegenteil hatten die Beispiele, die er nannte - von Word of Mouth Marketing bis Social Networking - sehr wenig mit Werbung zu tun. Warum sollten sie auch?"
Das größte Problem ist, dass die Agenturen in dieser veränderten Welt überhaupt nicht mehr wissen, wie sie ihr Geld verdienen sollen. Selbst wenn sie gute Ideen haben. Als Illustration zitiert er eine Geschichte von Jan Leth, Executive Creative Director bei OgilvyInteractive North America, über eine Arbeit für die Vergnügungsparks von Six Flags:
"'Sie hatten eine Promotion für ihren 45. Geburstag. Sie wollten 45.000 Tickets am Eröffnungstag verschenken, um möglichst viele Besucher dort zu haben. Also bekamen wir ein Briefing, um zu machen, was nötig ist: Werbung, Microsite, was auch immer. Aber unser Interactive CD hat die Tickets einfach auf Craigslist gepostet. Fünf Stunden später waren die 45.000 Tickets verteilt. Kein Foto-Shooting. Keine Drinks nach dem Shooting bei Shutters', fügte er hinzu. Und dann, mit etwas weniger Ironie: 'Die Frage ist jetzt: wie soll man für so etwas bezahlt werden?'"
Ich weiß nicht, ob solche drastischen Entwicklungen auch in Deutschland auf uns zukommen. Ich weiß aber auch nicht, aus welchem Grund hier alles ganz anders sein sollte. Was ich allerdings weiß: unsere Mitglieder gehen mit einem neuen Projekt von Nivea mit einer Begeisterung um, die sie einer klassischen Werbung wohl nur selten entgegenbringen würden. Vielleicht liegt es daran, dass wir tatsächlich Beziehungen aufbauen.