Der folgende Text ist alles andere als bahnbrechend oder revolutionär. Es handelt sich - ganz im Gegenteil - um eine Statusbetrachtung. Der Text ist im Rahmen eines Projektes entstanden, bei dem es u.a. galt, die entscheidenden Aspekte des Web 2.0 zusammenzustellen und in einer halbwegs menschlichen Sprache zu erklären. Es ist also eher eine Art "Lehrbuchtext" darüber, was Web 2.0 eigentlich ist. Ich dachte mir, es könnte auch für manche Leser dieses Blogs interessant sein. Denn auch wenn immer wieder vom Web 2.0 gesprochen wird, gibt es wenig Bemühungen, das mal übersichtlich zusammenzufassen. Vielleicht fallen dem einen oder anderen Leser noch zusätzliche wichtige Aspekte ein, die ich vergessen habe?
In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat im World Wide Web eine Entwicklung eingesetzt, die möglicherweise die Art der Internetnutzung eines großen Teils der Verwender substanziell verändern bzw. erweitern wird – sofern dies nicht schon längst geschehen ist. Das World Wide Web, also gleichsam die grafische Benutzeroberfläche des Internet, wurde in seiner ersten Hochphase (ca. 1997-2001) vor allem als „Read-Only“ Medium wahrgenommen, als Medium also, das dafür ausgelegt ist, von der Mehrheit seiner Nutzer ausschließlich passiv lesend/wahrnehmend genutzt zu werden. Dies war jedoch nicht wirklich im Sinne der Erfinder des Web, und seit rund drei Jahren erlauben neue technische Entwicklungen vielen vormals passiven Nutzern eine neue aktive Art des Umgangs mit dem World Wide Web. Diese Veränderung wird durch verschiedene Entwicklungen unterstützt:
- Zum einen macht die flächendeckende Verfügbarkeit von breitbandigen und ständig zur Verfügung stehenden Internetverbindungen eine intensive Beschäftigung mit dem Internet mittlerweile für breite Bevölkerungsteile attraktiv. Während früher vor allem die Mitarbeiter in wissenschaftlichen Einrichtungen und in großen Unternehmen über einen bequemen und ausreichend schnellen Zugriff auf das Internet und damit auf das World Wide Web verfügten, können nun auch Privatnutzer zu vertretbaren Kosten ständig online sein und dabei vergleichsweise hohe Datenübertragungsraten nutzen.
- Des weiteren sind durch die „Open Source“ Software-Bewegung und die stetig fallenden Preise für Speichermedien viele Programme und grundlegende Internet-Techniken so erschwinglich geworden, dass heute auch für private Endnutzer manche Möglichkeiten kostengünstig bereitstehen, die vor kurzer Zeit nur zu hohen Kosten genutzt werden konnten (Beispiel: Speicherplatz und Software-Programme für das Hosting von Internetseiten oder Datenbanken zur Erstellung komplexerer Web-Seiten).
- Die stetig steigende Popularität von Weblogs und verwandten Webseitenkonzepten (Wikis, Foto-Sharing-Seiten, Video-Seiten, etc.) hat dazu geführt, dass die Verbreitung eigener Medieninhalte über eigens dafür erstellte persönliche Internetseiten auch für solche Internetnutzer möglich wird, die wenige oder gar keine Programmierkenntnisse haben. Dabei steht nicht allein das Publizieren im Vordergrund – hinzu kommt eine von den Autoren dieser Inhalte selbst geförderte und neu entstehende Kultur der intensiven Vernetzung dieser persönlichen Inhalte untereinander. Diese Vernetzung sorgt für ein z. T. erstaunlich stark anwachsendes Publikum – das Publizieren wird also nicht nur einfacher, es wird auch einfacher, mehr Leute damit zu erreichen. Dies hat in Ländern oder kulturellen Räumen, in denen die entsprechende Entwicklung schon stärker vorangeschritten ist (Beispiele: USA, Frankreich), dafür gesorgt, dass mittlerweile von einer neuen politisch wie wirtschaftlich relevanten Öffentlichkeit ausgegangen wird (die von diktatorischen Regimen durchaus auch als Bedrohung angesehen wird, Beispiele sind Iran oder China).
- Viertens ist aus meiner Sicht eine Entwicklung wichtig, die neudeutsch gern als „perpetual beta“ bezeichnet wird. Sie hängt damit zusammen, dass sich im Zuge des Web 2.0 viele Softwareprodukte vom Rechner weg und ins Internet verlagern. Während es noch bis vor kurzem Gang und Gäbe war, dass eine Software zunächst lokal als Datenpaket vorliegen muss, auf dem Rechner installiert wird und dann von der Festplatte aus gestartet und betrieben wird, wandert heute viel Software vom Rechner ins Internet. Anstatt sich die Programme von der eigenen Festplatte zu holen, greift der Nutzer über das Internet (immer häufiger mittels World Wide Web) auf die Software zu, führt die entsprechenden Operationen auf einem fremden Rechner aus (dem Server) und nutzt seinen eigenen nur noch für den Zugriff auf das Netz, nicht mehr für die eigentliche Programmverwendung. Vorteile sind unter anderem, dass die gemeinsame Nutzung derartiger Angebote durch verschiedene Nutzer möglich wird (Stichwort „social software“), oder dass Aktualisierungen der Software nun völlig unproblematisch und zentral dort ausgeführt werden können, wo die Software liegt – nämlich auf dem Server. Mittlerweile geht die überwältigende Mehrheit der Web 2.0-Anbieter dazu über, das beta einfach dauerhaft im Namen stehen zu lassen. Womit der Begriff „perpetual beta“ erklärt wäre.
Zusammengefasst: die modernen Web-Nutzer des beginnenden 21. Jahrhunderts sind immer online, sie diskutieren und publizieren zu niedrigen Kosten selbst im Web und erreichen dabei ein deutlich größeres Publikum, als noch vor wenigen Jahren möglich gewesen wäre. Offensichtlich entsteht auf diesem Weg eine neue Öffentlichkeit, die wichtigen Einfluss auf die wirtschaftliche wie politische Entwicklung in entsprechend betroffenen Märkten bzw. Kulturkreisen haben könnte oder schon hat. Ein beliebtes Schlagwort, unter dem diese Entwicklung mittlerweile häufig zusammengefasst wird, ist „Web 2.0“.
In welcher Weise das Web 2.0 kommerziell interessant sein kann und wird, ist noch umstritten. Bislang haben vor allem diejenigen Unternehmen profitieren können, die entweder gegen Gebühr die oben beschriebenen Instrumente zur Veröffentlichung eigener Inhalte anbieten (Blogsoftware beispielsweise), oder aber einige wenige Firmen, denen es gelungen ist, massenhaft Nutzer auf ihren Seiten zum gegenseitigen Austausch animieren zu können. Wenn dies zu bestimmten Themen geschieht, kann zum Kontext passende und damit relevante Werbung geschaltet werden, über die sich Einnahmen erzielen lassen. Die Grundüberlegung ist dabei, dass ein solches neues mediales Werbemodell deswegen besonders lukrativ ist, weil zwar auch hier, wie bei den klassischen Medien, redaktionelle Inhalte zur Verfügung gestellt werden, in deren Rahmen Werbung geschaltet werden kann. Die Inhalte stammen jedoch nicht von einem aufwändig zu finanzierenden Redaktionsapparat, sondern kostenlos von unbezahlten Privatnutzern, ja manche dieser Nutzer sind sogar bereit, für die Nutzung der Strukturen Geld zu bezahlen.