Wenn man sich anguckt, welche Texte dieser Tage veröffentlicht werden, in denen u.a. von Viral Marketing die Rede ist, dann gibt es schon manche interessante Dinge zu beobachten. Sehr amüsant und zum Einstieg eine Einschätzung von Boris Malvinsky, klassischer Werber bei kempertrautmann, der Agentur, die für die Media-Markt-Kampagnen verantwortlich ist. Er wird vom Interviewer bei Medienhandbuch.de unter anderem zu viralem Marketing und Web 2.0 im Zusammenhang mit der "Saubillig"-Kampagne befragt:
"medienhandbuch.de:
Web 2.0 Maßnahmen und Virales Marketing sind in aller Munde. Bietet hier die Kampagne etwas Konkretes an?
Boris Malvinsky:
Unter www.mediamarkt.de steht eine Auswahl an Spots (TV und Funk) zum Download bereit, außerdem verschiedene Handy- und Computer Wallpaper-Motive."
Aha. Mit dem Web 2.0 geht man einfach um, indem man Downloads und Wallpapers anbietet. Uiui. Da ist aber noch viel Aufholbedarf. Vielleicht kurz als Erinnerung an Herr Mavinsky und alle anderen, die so denken: Web 2.0 heißt, dass "der Konsument" die Kontrolle über teilweise sehr reichweitenstarke Aspekte der Medienlandschaft übernimmt und sich nicht mehr von den Massenwerbern vorschreiben lässt, welche Marke cool ist, und wo man einkaufen muss. Wer glaubt, solche Leute mit ein paar digitalen Goodies abspeisen zu können, liegt höchstwahrscheinlich falsch.
Zwei häufigen Vorurteilen zum Thema "Viral Marketing" verschafft die Filmproduktionsfirma dot-films neue Nahrung. In einer Pressemeldung wird die erfolgreiche Verbreitung eines viralen Films im Rahmen einer Kampagne für den Film "An Inconvenient Truth" gefeiert. An sich nicht schlecht - wenn es gelingt, einen Werbefilm im Netz vernünftig viral zu verbreiten, dann ist das eine feine Sache. Nicht so gut ist, wenn dabei "Mundpropaganda" und "virale Werbung" vermischt werden:
"Viral Marketing ist positive Mund-zu-Mund-Propaganda auf die digitale Welt übertragen, in diesem Medium funktioniert sie allerdings besonders effizient: Verläuft Mund-zu-Mund-Propaganda meist one-to-one, kann eine Person über Kommunikationsplattformen im Internet innerhalb kurzer Zeit viele Personen erreichen. In ihrer Wirkungsweise setzt Viral Marketing auf das Bedürfnis der Menschen zu kommunizieren. Der Kunde wird freiwillig als Vermittler einer Werbebotschaft in die Werbekampagne integriert, indem er Informationen weiter empfiehlt."
Das ist so ein wenig irreführend - viele Leute denken dann leicht, Viral Marketing sei eigentlich dasselbe wie Mundpropaganda. Richtig ist: hier geht es erstmal nur um virale Werbung (und weniger um virales Marketing), also die Verbreitung eines Werbefilms mittels (digitaler) Mundpropaganda. Das ist nur ein ganz kleiner Teil des Marketings. Und zweitens: Mundpropaganda selbst ist extrem durchschlagend, mächtig und wichtig für den Verkaufserfolg. Aber das gilt dann, wenn in der Mundpropaganda über Marken und Produkte gesprochen wird. Bei viraler Werbung wirkt die Mundpropaganda nur für die Verbreitung der Werbung. Ob das dann am Schluss für das Produkt positive Effekte nach sich zieht, hängt nicht von der Mundpropaganda ab, sondern allein davon, ob der Werbefilm, der da verbreitet wird, denn auch wirklich wirkt!
Und weiter unten in derselben Meldung:
"Mit relativ geringen Kosten kann schon ein hoher Nutzen erzielt werden: Bernhard Longin: 'Vor allem für Unternehmen mit geringem Werbebudget ist dieses Konzept des Viral Marketing eine schnelle und wirkungsvolle, aber vor allem auch bezahlbare Marketingstrategie'."
Auch hier würde ich für Vorsicht werben. Wenn man die Kosten für die Entwicklung, Produktion, Verbreitung und Messung der Ergebnisse eines viralen Spots zusammenrechnet, dann ist man leicht bei sechsstelligen Summen. Es schafft falsche Erwartungen, wenn man meint, so etwas sei ganz leicht und für kleines Geld zu haben! Welcher Aufwand hinter eine viralen Kampagne stecken kann, wird auch in einem Text von Media & Marketing zur Ron Hammer-Kampagne deutlich. Wer das liest, sieht, dass da Geld dahinter steckt. (Mehr außerdem dazu bei Markus.) Reflektiert wird der notwendige Aufwand auch in einem (recht kurzen und ansonsten einigermaßen vereinfachenden) Text mit dem Titel "Virales Internet-Marketing bietet Chancen und Risiken" auf der LexisNexis-Plattform:
"Experten warnen davor, den Aufwand von viralem Marketing zu unterschätzen. Auch hier ist eine ausgefeilte Mediaplanung notwendig, um eine gezielte Platzierung in den geeigneten Suchmaschinen, Weblogs und Communities vorzunehmen und so die richtige Zielgruppe zu erreichen."
Zum Unterschied zwischen viraler Werbung und viralem Marketing passt auch die (schon einige Tage alte) Pressemeldung von OpenBC zum Börsengang. Dort heißt es unter anderem:
"... erläutert Hinrichs die Börsenpläne. 'Als einer der Marktführer im Professional Online Networking wollen wir sowohl unser organisches Wachstum vor allem über virales Marketing weiter vorantreiben, als auch über ausgewählte Akquisitionen wachsen, um so unsere Marktposition auszubauen. (...)'"
Ich kann mit ziemlich Gewissheit sagen, dass Lars Hinrichs nicht an virale Filmchen denkt, wenn er seine Wachstumsstrategien an der Börse verkaufen will. OpenBC ist Beispiel eines Geschäftsmodells, das von externen Netzwerkeffekten profitiert: je mehr Leute Mitglied sind, desto mehr nützt es den existierenden Mitgliedern. Sie sind damit automatisch dazu angehalten, ihre Bekannten und Freunde auf die Plattform einzuladen. So sind die viralen Effekte in das Produkt gleichsam mit eingebaut. Diese gilt es nun zu unterstützen und anzureichern.
- Verwandter Link: mein Eintrag zu "Viral Marketing Definitionen"