Am vergangenen Wochenende war ich in meiner Heimat Niedersachsen unterwegs und habe zwei interessante Beobachtungen zum Thema Mundpropaganda und Marketing gemacht:
Der Radiosender Radio 21 ist ein sogenannter Classic Rock Sender, das heißt, da gibt es den ganzen Tag lang alte Kracher vom Schlage der Uriah Heep, The Slade oder auch modernere Sachen der härteren Gangart zu hören. Radio 21 bittet seine Hörer jetzt explizit darum, Mundpropaganda für den Sender zu machen. Mit dem Slogan "Helfen Sie uns, werden Sie Classic Rock Botschafter" werden die Hörer daran erinnert, dass Classic Rock kein Sender, sondern ein Lebensgefühl sei, und sie werden aufgerufen, auf der Internetseite des Senders ein Plakat als PDF herunterzuladen, dieses Plakat an entsprechend sichtbarer Stelle aufzuhängen (In der Firmenkantine? An der Büropinnwand?) und ein entsprechendes Beweisfoto an den Sender einzusenden:
"Ihre verrückten Ideen sind nun gefragt. Drucken Sie unsere Mini-Plakate aus und dekorieren Sie damit einfach alles. Verschönern Sie damit das alte Auto Ihres Nachbarn. Sparen Sie das Geld für teure Gardinen, denn unsere Plakate im Fenster sind einfach einzigartig. Zeigen Sie allen, dass Sie etwas Besonderes sind und sich zu Classic Rock bekennen. Denn Classic Rock ist keine Musik – Classic Rock ist eine Lebenseinstellung! Seien Sie auch selbst kreativ und entwerfen Sie Ihr eigenes, einzigartiges Plakat. Schicken Sie uns Ihre Fotos von Ihrem Kreativeinsatz an..."
Das ist Consumer Evangelism bzw. Open Source Marketing im besten Sinne: die Fans werden aufgerufen, sich aktiv und kreativ für den Sender einzusetzen, mit dem klaren Hinweis darauf, dass es sich um eine David-gegen-Goliath-Geschichte handelt: "Überall im Land hängen wieder die Plakate von den großen Dudelsendern. Das ist toll und wir gönnen es denen. Wir aber können und wollen uns dies nicht leisten."
Also ein sehr interessantes Beispiel für Marketing mittels Mundpropaganda, und der Bildergallerie sieht man an, dass sich die Leute durchaus ins Zeug legen...
Die zweite Geschichte kommt von einer Feier, bei der ich am Samstagabend mit einigen Freunden beim Bier saß, und wo der eine erzählt hat: "Wir haben jetzt seit etwa einem Jahr so einen neuen Digital-TV-Receiver, da ist eine Festplatte eingebaut. Und seit wir das Ding haben, sehen wir überhaupt keine Fernsehwerbung mehr. Wir sehen die Sendungen zeitversetzt, d.h. wir fangen später an und können die Werbung dann ganz leicht überspringen." Darauf ein anderer zu seiner Frau, die neben ihm saß: "Du, sowas brauchen wir auch." Ich habe den ersten daraufhin gefragt, ob er denn an anderer Stelle "Fernsehwerbung" sehen würde, also im Internet, auf YouTube beispielsweise. Da kam als Antwort: "Was ist YouTube?"
Mit anderen Worten: 1.) TiVO-artige DVRs (Digital Video Recorders) setzen sich mittels Mundpropaganda durch. 2.) Nur weil jemand moderne digitale Geräte nutzt und schätzt, heißt das noch lange nicht, dass derjenige sich auch der gesamten Unterhaltungsrevolution aussetzt, die sich im Internet abspielt. Es wird einfach nur Werbung ausgeblendet. Was aus meiner Sicht eine schöne Illustration dafür ist, dass Unternehmen sich wirklich intensiver mit Mundpropaganda befassen sollten. Denn wenn ich mir das obige Gespäch ansehe, würde ich schätzen, dass wir eine US-ähnliche Verbreitung von Digitalen Video-Rekordern hierzulande vielleicht gegen Ende 2007 haben werden. Und spätestens dann wird auch hier bei den Fernsehwerbern einiges an Heulen und Wehklagen beginnen.