Gestern habe ich beim Xongress 06 in Zürich einen Workshop zum Thema Viral Markerting, Web 2.0 und Mundpropaganda gemacht. Am Vormittag hatte ich außerdem die Gelegenheit, vier Vorträge zu hören. Nach einer kurzen Einleitung von einem der Moderatoren, Piero Schäfer, der sich begeistert über die Möglichkeiten des In Game Advertising zeigte, war als erster Redner Bernd M. Michael dran. Der ehemalige CEO der Grey Global Group Middle Europe, heute noch als Berater bei Grey tätig, forderte von den Unternehmen echte Innovationen und präsentierte gekonnte Regelbrüche als wichtigen Weg zum Erfolg im Marketing. Unter anderem ging er dabei explizit auch auf "Word of Mouth" ein, u.a. am Beispiel der Modemarke ZARA. Sie sei völlig ohne klassische Werbung, dafür basierend auf dem "klassischen Prinzip" der Verknappung mittels Mundpropaganda zum Europäischen Mode-Imperium angewachsen. Unser anschließendes kurzes Gespräch war interessant - nicht zuletzt, weil er damals in meiner Grey-Zeit meine 'ersten Schritte' im Viral Marketing-Bereich unterstützend begleitet hatte.
Recht amüsant war letztlich der zweite Redner: Rolf Heinrich, der Marketingleiter der Schweizer V-ZUG AG. Die Vorlage von Bernd M. Michael aufnehmend, erklärte er zunächst sehr glaubwürdig, dass sich sein Unternehmen immer wieder mit wirklichen Innovationen am Markt positionieren würde. Und ebenso begeistert sprach er dann von einem echten Regelbruch im Marketing, mit dem sie einen großen Erfolg bei der Einführung eines neuen Produktes erzielt hätten. Ich war gespannt. Der Regelbruch im Marketing war... Promi-Werbung, mit Martina Hingis. Ich war einigermaßen erstaunt, dachte jetzt kommt noch was... Aber das war's. Promi-Werbung als Regelbruch. Wenn man bedenkt, dass Promi-Werbung bereits seit etwa 50 Jahren existiert, dann sehe ich nicht genau, welche Regel da gebrochen wird. Dass Hingis und die Marke aus spezifischen Schweizer Gründen sehr gut zusammenpassen, mag sein. Und dass es etwas besonderes in dieser Branche und in diesem Markt ist, vielleicht auch. Aber ein Regelbruch? Definitiv nicht.
Der dritte Redner, den ich hören konnte, war Frank Bodin, Chairman & CEO Euro RSCG Group Switzerland. Er sagte viele Dinge, die sehr richtig klingen - Sachen wie "über Inhalte muss man reden, nicht über Kanäle", oder Thesen wie "von der Mediendiktatur zur Mediendemokratie" und "von der Werbeidee zur Werbestory". Dass man Qualität brauche und dass der Content gewollt werden müsse. Richtig (unfreiwillig) witzig war dann allerdings, dass er zunächst erklärte, Werbung zur Erbauung von ADC-Leuten sei abzulehnen, denn Werbung müsse ja vor allem beim Zielpublikum wirken. Und danach hat er dann ausschließlich genau solche Werbung gezeigt, die Werbefreaks begeistert aber beim Konsumenten nie und nimmer ankommt. Oder er erklärte, dass Leute auf Werbung voll einsteigen müssten, hat dann aber keinerlei Beispiele für Marketing mit Partizipation des Publikums gezeigt, sondern auch wieder nur Preisverleihungswitzigkeiten. Vielleicht das Allerwitzigste: "Wir müssen vom Monolog zum Dialog kommen". Ich dachte 'Oh, jetzt wird's spannend!'. Und dann die Aufklärung: er meinte nicht den echten Dialog im Austausch mit potenziellen Kunden der jeweiligen Marke, sondern allein den Austausch zwischen Agentur und Kunde! Also, Frank Bodin konnte ich für die Werbekommunikation im 21. Jahrhundert getrost abschreiben.
Entsprechend kritisch habe ich dann auch Jan Leube von Scholz & Friends (zunächst in Deutschland, seit kurzem in der Schweiz) entgegengesehen. Ungerechtfertigterweise: Das S&F-Stichwort für integrierte Kommunikation ist ja mittlerweile seit einigen Jahren "Orchestrieren" bzw. "Orchestra of Ideas" (ich erinnere mich, dass ich den Terminus kurz vor der Einführung bei S&F als Idee damals bei Dorland besprochen hatte, da hieß es, Orchestrieren sei keine passende Vokabel für Markenkommunikation...). Sehr stark ging er auf Pull-Kommunikation statt Push ein, also den Gedanken, dass man spannende Inhalte anbieten müsse, auf die Leute gerne selber zugehen, anstatt sie um die Ohren gehauen zu bekommen. Festgemacht hat er das an der Kampagne "Land der Ideen". (Mit seiner Präsentation hat er sich letztlich vor allem auch um den Etat zur Vorbereitung der EM in der Schweiz beworben.) Gut daran war, dass er gezeigt hat, wie viele kleine Ideen an vielen verschiedenen Stellen ihre Wirkung in der Gesamtheit entfalten. Die Idee, die hinter dem "Walk of Ideas" (oder auch) stand, hat mich auch überzeugt: Für das selbe Geld, mit dem man drei Anzeigen in einer großen US-amerikanischen Tageszeitung hätte schalten können, wurden stattdessen die riesigen Skulpturen aufgestellt. Sie sollten vor allem den Touristen aus aller Welt als spannender Hintergrund dienen, der in ihren Fotos auftaucht und zuhause zum Gesprächsthema wird: Na, wenn das kein Mundpropaganda Marketing ist? (Erstaunt hat mich dagegen, wie offen er erklärt hat, dass die Idee zu der Kampagne letztlich vom Economist stammt: Dort hatte es ein Heft oder eine Kampagne mit dem Titel 'Is Germany still the land of ideas?' gegeben.) (Korrektur siehe) Ein beachtlicher Erfolg der Kampagne war, dass auch der Economist den Gedanken "Land der Ideen" aufgenommen und zu einem eigenen Leitthema gemacht hat, mit der Headline: 'Is Germany still the land of ideas?' Insgesamt hat mich der Vortrag sehr positiv überrascht.
Nach einem angeregten Gespräch mit Anthony-James Owen und seiner Frau, die leider genau zur selben Zeit wie ich mit ihrem Workshop dran waren, ging um 14 Uhr mein eigener Workshop los. Ich habe nach einer Einführung zur Relevanz von Mundpropaganda insbesondere im Web 2.0 über mein "Framework" für den strategischen Umgang mit Mundpropaganda gesprochen und anschließend mit den Teilnehmern zwei Fallstudien bearbeitet.
Also: Ein voller anregender Tag, der mit einer Fahrt nach München endete, wo ich heute mit den TRND-Jungs zusammen sitze.