Für virale Werbeeffekte (Verbreitung der eigenen Werbung über das Internet durch die Nutzer) rücken Blogs häufig ins Zentrum des Interesses. Viele Online-Marketingleute fragen sich: Wie kann ich dafür sorgen, dass möglichst viele Blogger meine Geschichte, meinen Film, mein PDF oder meine URL aufnehmen, darüber schreiben, dahin linken, damit sich das Thema auf diese Weise über die Blogosphäre und dadurch im Netz verbreitet?
Fakt ist, dass es nur sehr selten gelingt, solche viralen Effekte über Blogs zu erzielen. Sehr viel häufiger passiert Unternehmen und ihren Marken vielmehr das Gegenteil: sie geraten ins kritische Kreuzfeuer der Blogs, weil sie kommunikative (oder andere) Fehler machen und dadurch den Spott oder die Kritik der Blogger auf sich ziehen. Gerade in Deutschland geht es häufig darum, die Blogosphäre von der - aus Sicht vieler Blogger - "schädlichen" kommerziellen und damit unglaubwürdigen Kommunikation freizuhalten. Diese Haltung (die ich hier überhaupt nicht bewerten will) macht es objektiv schwer, durchschlagende Effekte mit viraler Werbung über Blogs zu erreichen. Eine positive Reaktion der Blogosphäre kann man eher erzielen, wenn man sich in der Kommunikation öffnet. Wenn man sich also zu einem gewissen Grad die Transparenz und die Partizipation zutraut, die von Bloggern oft gefordert wird. Einige interessante Beispiele (Open BC, Opel) dieser Form des Open Source Marketing zeigen das. Aus meiner eigenen Forschung weiß ich außerdem, dass eine Öffnung gegenüber den Kunden und deren Mitwirkung am Marketing Mundpropaganda-Potenzial freisetzt.
Was aber nun mit der viralen Werbung? Ein eigener kleiner Versuch hat mir jetzt wieder bestätigt, dass die Wirkung von per E-Mail verbreiteter Kommunikation gegenüber der Wirkung der Blogs nicht unterschätzt werden sollte. Manche haben's vielleicht mitbekommen, kürzlich habe ich unter dem Titel "Advertising Superstar" ein bißchen Musik ins Netz gestellt. In erster Linie, weil ich einfach Spaß daran hatte, gemeinsam mit Freunden das Stück aufzunehmen. Zweitens, weil ich dachte, dass vielleicht manche Werber sich selbst oder ihre Kollegen darin wiederentdecken könnten. Die Frage, ob die Nummer eine Verbreitung im Netz erreicht, stellte sich dann letztlich natürlich von selbst.
Zunächst habe ich also auf die Blogs geschaut und war eher enttäuscht - insgesamt hatten bis zum vergangenen Wochenende laut Technorati gerade 7 Blogs darauf verlinkt, nachdem die Seite schon rund 5-6 Wochen im Netz stand. Und zwei oder drei dieser Blogger hatten freundlicherweise darüber berichtet, nachdem ich ihnen davon erzählt hatte. Von viraler Ausbreitung konnte also keine Rede sein. Umso erstaunter war ich, als ich dann aus zwei verschiedenen Ecken erfuhr, dass immer wieder E-Mails mit der Geschichte in Agenturen rumgehen. Ein näherer Blick auf die Statistik offenbarte, dass tatsächlich eine überwältigende Mehrheit der Klicks auf der Seite direkte Treffer sind - ich vermute also, dass sie per E-Mail entstanden sind. Zwischen 60 und 80% der Hits kommen auf diese Weise zustande, und so war zwischen 10. und 31.7. immerhin ein Traffic-Volumen von mehr als 4 GB entstanden (rd. 1000 Downloads). Das ist nun nicht gerade enorm, aber doch ganz ordentlich. Ausgelöst wurde diese Verbreitung sicher durch einflussreiche Blogs und Podcasts (wie Werbeblogger, Alex' Podcast und WasmitMedien, Folge 54) und vor allem auch durch einen Beitrag in Extradienst.at. Die anschließende Verbreitung lief dann per E-Mail. Das mag für viele naheliegend erscheinen, für mich war es aber nochmal eine hilfreiche Erinnerung, dass es nicht immer nur die Technorati-Ergebnisse sind, die anzeigen, welche Verbreitung eine Sache erzielt.
Unterstützt wird dies noch von den Erfahrungen der TRNDler, die mir mitgeteilt haben, dass bei der Auswertung ihrer Kampagnen üblicherweise herauskommt, dass nur ein sehr geringer Teil der Kommunikation überhaupt auf Blogs oder allgemein im Internet abläuft. Über E-Mail hinaus ist es ganz häufig das "klassische" Gespräch, also Mundpropaganda im wirklichen alten analogen Sinne, das den überwiegenden Großteil der Kommunikation ausmacht.
Was bedeutet das für die Markenkommunikation? Meiner Ansicht nach sollte man mit Bloggern dann arbeiten, wenn man 1.) eine Sensation zu bieten hat, auf die eine bestimmte Szene unter den Bloggern idealerweise schon lange gewartet oder gehofft hat (Apple-Neuerscheinungen sind da ein gutes - vielleicht etwas extremes - Beispiel), oder wenn man 2.) langfristige Beziehungen aufbauen will, indem man etwas bieten kann, wovon gerade die Blogosphäre Vorteile hat - interessante Insider-Informationen beispielsweise, die anders nicht zu bekommen sind (siehe Frosta-Blog), etc. Dazu gehören natürlich auch die obenstehenden Beispiele für Open Source Marketing. Blog Marketing ist echte Beziehungspflege, bei der man einander kennen- und schätzen lernt. Auf diese Weise entsteht viel authentischer Content im Netz, mittels Austausch und Dialog zwischen Menschen, der sich dann natürlich auch und gerade mittelfristig in den Suchergebnissen bei Google etc. niederschlägt. Die Marke wird weithin sichtbarer im Netz. Der "Quick Fix" einer viralen Kampagne sollte sich dagegen nicht zu sehr auf Blogs verlassen. Denn Blogger wissen meistens sehr genau, wenn etwas von ihnen erwartet wird. Und das kommt oft nicht sehr gut an - das weiß ich nicht zuletzt von mir selbst. ;-)
Was also tun mit der viralen Werbung? Erstmal muss natürlich das virale Kampagnengut selber stimmen - Spaß machen, auffallen, zum Weiterleiten animieren. Das ist vor allem eine Frage des kreativen Talents, und unglaublich schwer. Viele begeistern sich an den Kampagnen, die tatsächlich mal bemerkt werden und weitergeleitet werden. Aber die Anzahl derer, die es versuchen und kläglich scheitern, dürfte sehr sehr hoch sein. Erfolgskritisch kann dabei sein, dass sich die Zielgruppe verstanden und angesprochen fühlt, weil man es beispielsweise geschafft hat, bestimmtes Insiderwissen in der Kampagne einzubauen (das ist wohl auch das wichtige Element beim Advertising Superstar). Andererseits: je stärker man die Inhalte auf bestimmte Zielgruppen zuspitzt, desto eher wird die Reichweite dann natürlich auch auf diese begrenzt. Positiv ausgedrückt: man erreicht so ein besseres Targeting. Notfalls könnte es sogar angebracht sein, für verschiedene Zielgruppen verschiedene virale Clips (etc.) zu produzieren. Hier muss man abwägen. Wenn es aber gelingt, Inhalte zu entwickeln, die solch ein Potenzial haben, sollte man sich passende Medien suchen, die eine hohe Reichweite haben, und über diese in klassischer PR-Manier die Kampagne in der entsprechend daran interessierten Zielgruppe lancieren. Wenn die Kampagne kreativ bzw. vom Inhalt her gut genug ist und sich gut weiterleiten lässt, muss man einfach mittels klassischer Reichweite sicherstellen, dass sie von genug Leuten gesehen wird, die sie dann weiterleiten können.
Nach diesem Verfahren arbeiten meines Wissens auch die Viral-Dienstleister, die Kampagnen seeden und tracken. Sie haben gute Kontakte zu vielen stark besuchten Portalseiten, und sie streuen darüber die Kampagnen erst einmal ganz klassisch mittels Reichweite. Es geht erst einmal immer um Kontakte, ganz altmodisch TKP, sozusagen. Was dann durch virale Effekte zusätzlich gewonnen wird, ist Bonus und Sahne auf dem Kuchen.
Das erinnert mich auch nochmal daran, dass es einen wichtigen Unterschied zwischen viraler Werbung und Mundpropaganda gibt: Mundpropaganda ist so durchschlagend, weil prinzipiell finanziell unbeteiligte Leute mit neutraler Haltung ein Produkt oder ein Angebot empfehlen oder von einer Marke schwärmen und daher glaubwürdig sind. Bei der viralen Werbung wirkt dieser positive Empfehlereffekt ausschließlich auf die Wahrnehmung bezüglich der Werbung: der Weiterleitende empfielt ja nicht das Produkt selbst, sondern nur die Werbung für das Produkt. Wenn sie gut und unterhaltsam ist, kann virale Werbung damit die Aufmerksamkeitssperre unterlaufen, die viele von uns gegenüber klassischer Werbung aufgebaut haben. Positive Mundpropaganda für ein Produkt und damit notwendigerweise absatzfördernd ist sie damit noch lange nicht. Denn es ist ja nicht gesagt, dass der virale Spot dann auch tatsächlich wirkt. Denn wenn man ihn ansieht, funktioniert er eben nur noch genauso gut oder schlecht, wie jeder andere Werbespot auch. Durch die virale Komponenten ist nur die Wahrscheinlichkeit, dass er angesehen wird, vielleicht etwas höher. Ob er Absatz bringt, steht auf einem anderen Zettel.
- Zum Thema Blogs und Unternehmen passt auch dieser Artikel: "David-gegen-Goliath-Effekt"
Nachtrag 10.08.2006: Hier noch ein interessanter Text bei Kakoii.de, der einige ergänzende Punkte zum Thema virale Clips bietet.