Wenn man erzählt, dass man sich mit Mundpropaganda Marketing oder Viral Marketing befasst, dann kann es ab und zu passieren, dass Leute fragen: "Ist das nicht eine eher miese Tour? Sich sozusagen "undercover" einzuschleichen und im Verborgenen zu wirken?"
Meiner Ansicht nach zeugt diese Frage aber eher von Unwissen - denn ich sehe das eigentlich genau anders herum: Ist es nicht viel eher eine miese Tour, ständig das Fernsehprogramm an den spannendsten Stellen zu unterbrechen und dem Zuschauer Inhalte auf's Auge zu drücken, die er/sie gar nicht sehen will? Ist es nicht eine miese Tour, Pop-Ups aufspringen zu lassen, oder Layer-Ads, die ganze Internetseiten unleserlich machen, weil man sich so mittels Frontalangriff ein paar Klicks erkauft? Ist es nicht eine miese Tour, das Inhaltsverzeichnis einer Zeitung zwischen 10 Seiten Werbung zu verstecken, so dass man es kaum noch finden kann?
Nur weil wir uns an diese Techniken gewöhnt haben, sind sie meiner Ansicht nach noch lange nicht richtig und gut.
Wer dagegen auf vernünftige Weise Werbung mittels Mundpropaganda betreibt, der macht ein Angebot: es werden Inhalte bereitgestellt - für Leute, die diese nicht nur selbst interessant finden, sondern so spannend, nützlich, interessant, dass sie diese auch an andere weiterleiten wollen. Das kann ein gut gemachter Werbefilm sein, den man bei YouTube postet (den habe ich grade nur durch Eingabe von "ad" und etwas Rumklicken gefunden). Das kann ein Wettbewerb für die Erstellung von Anzeigen oder Werbespots sein. Das kann sogar ein interaktives Spiel sein, das Leute neugierig macht, und dessen Lösung sie gemeinsam zu finden versuchen. (Ob man dabei Denic-Adressen benutzen darf, um Blogger anzuschreiben, ist allerdings tatsächlich eine berechtigte Frage.)
Wenn durch solche Maßnahmen Mundpropaganda entsteht, dann kann man in den meisten Fällen davon ausgehen, dass sie die Empfänger nicht stört - anders als die Werbeunterbrechung an der spannendsten Stelle des Films. Denn die Mundpropaganda-Empfehlung kommt ja dann von Freunden, die für sich immerhin schon entschieden haben, dass es wert ist, darüber zu sprechen.
Und dennoch wird immer wieder gern darüber diskutiert, dass das ja irgendwie verwerflich sei. Viel bedrohlicher finde ich persönlich dagegen, dass sich große Agenturen offensichtlich ganz intensiv für Neuromarketing interessieren. Gestern zum Beispiel in der Rheinischen Post:
"Denn an der Klinik für Epileptologie der Universität Bonn (...) sind die grauen Zellen von Konsumenten jetzt seriöses Studienobjekt. Neuromarketing heißt die junge Disziplin, und der Name verrät, worum es geht: die Fragestellungen aus der Konsum- und Warenwelt mit neurowissenschaftlichen Methoden zu untersuchen. In der Werbewirtschaft stößt Neuromarketing auf großes Interesse. So arbeitet Marktführer BBDO mit dem Münchner Hirnforscher Ernst Pöppel zusammen. Und den Bonner Wissenschaftlern bot sich die Grey-Gruppe aus Düsseldorf an. Grey-Chef Ulrich Veigel: 'Wir möchten wissen, was im Kopf der Konsumenten passiert.'"
Und weiter unten:
"Grey-Mann Veigel verrät schon jetzt ein Ziel seiner Zusammenarbeit mit den Bonner Neuroforschern: 'Wie man eine Marke fest im Gehirn verankert, testen wir auf jeden Fall.'"
Natürlich versuchen diese Leute erst einmal spannende Geschichten für die Presse zu stricken. Und wenn sich eine Werbeagentur für Hirnforscher interessiert, dann finden Journalisten das irgendwie aufregend und schreiben drüber, gern auch immer wieder, selbst wenn hinter der Zusammenarbeit eigentlich gar nichts steckt (es kann nämlich auch gut der Fall sein, dass das nur eine Geschichte für die Presse ist). Jung von Matt haben ja aus ähnlichen Motiven heraus vor einer Weile dieses alberne Konsumentenwohnzimmer eingerichtet. Ich glaube nicht, dass das konkret für irgendeinen Kunden wirklich genutzt wird. Und so mache ich mich natürlich auch zum Handlanger, indem ich die Geschichte hier schon mal in die Blogosphäre trage.
Aber mal angenommen, da ist doch was dran: Dann bedeutet das für mich, dass die klassischen Werber feststellen, dass mit ihrer massenmedialen Unterbrecherkeule einfach nicht mehr genug Wirkung erzielt wird. Ihre Antwort: wir müssen noch tiefer rein ins Hirn und die wirklichen Manipulationsstellschrauben finden und drehen, damit die Kunden machen was wir wollen.
Die Viral Marketers sagen dagegen: lasst uns etwas anbieten, das Spaß macht, das sich das Publikum holen und weiterleiten kann, wenn es will.
Nun frage ich: wer kämpft denn hier eigentlich mit üblen Mitteln?
Nachtrag 11.08.2006: Ein Interview bei Brand Eins zum Thema Werber und Neuromarketing. Das legt nahe, dass meine Vermutung zutrifft, dass es sich eher um einen PR-Stunt als um eine ernstzunehmende Geschichte handelt. (Dank an Matthias Lindenberger für den Hinweis.)
Nachtrag 28.08.2006: Auf dem TRND-Projektblog zum Buch von Sascha Langner wird dieses Thema auch diskutiert.
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