Im Januar hatte ich ja schon einen etwas längeren Text dazu geschrieben, was Viral Marketing eigentlich ist, wo es herkommt, und wie es mit Buzz Marketing und Word of Mouth Marketing zusammenhängt. Dazu hier als Nachfolger eine Art kommentierte Zusammenfassung einiger Aspekte eines längeren Textes, den es schon vor einem Jahr bei MarketingSherpa (inzwischen kostenpflichtig) gab, und der eine Reihe interessanter Überlegungen zu Grundlagen von 'Viral Advertising' bietet.
Zunächst mal wichtig: auch hier wird der Unterschied zwischen viralem Marketing und viraler Werbung gemacht, denn im Artikel ist bewusst von "Viral Advertising" die Rede. Mir liegt sehr am Herzen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Marketing und Werbung absolut nicht dasselbe ist. Marketing ist ein komplexer Prozess, der festlegt, wie sich ein Unternehmen mit seinen Produkten am Markt platziert. Klassischerweise wird der Prozess in die vier Teile "Place" (wo gibt es meine Produkte zu kaufen/wie werden sie vertrieben?), "Price" (wie setze ich den Preis fest?), "Product" (was genau biete ich eigentlich an, und wem?) und "Promotion" (wie sorge ich dafür, dass mein Produkt bekannt wird?) aufgeteilt. Daher auch der Begriff "die 4 P des Marketing". Deutlich wird damit: Werbung ist nur ein Teil des vierten P. Anders herum: auch jene Leute, die in grauen Büros sitzen und über langen Excel-Kalkulationen brüten, um Preise für Produkte festzusetzen, machen Marketing. Marketing machen nicht nur hippe Leute, die Mini fahren und coole Sonnenbrillen tragen. Virales Marketing ist damit eigentlich die komplette Ausrichtung aller Marketinganstrengungen auf Mundpropaganda. Virale Werbefilme sind weit weniger, virale Werbung eben.
Der Text grenzt virale Werbung zunächst von anderen Begriffen ab: Evangelism Marketing ist danach eine Methode, enthusiastische Kunden der eigenen Marke mit speziellen auf sie ausgerichteten Maßnahmen noch mehr zu begeistern und damit zu Mundpropaganda anzuregen. Beim Influencer Marketing geht es darum, eine einflussreiche Gruppe von Menschen (Prominente, besonders trendy Jugendliche, etc.) von der Nutzung der eigenen Produkte zu überzeugen, damit andere sie darin kopieren. Als drittes wird Buzz Marketing davon abgegrenzt, als Ansatz, der entweder PR Stunts oder spezifisch platzierten Content dafür nutzt, die Marke zum allgemeinen Gesprächsstoff zu machen. Laut Artikel ist der wichtigste Unterschied bei der viralen Werbung zu den vorangestellten Ansätzen der, dass hier der Fokus der Kommunikation nicht auf der Marke selbst liegt, sondern auf der kreativen Ausgestaltung, und dass die Marke letztlich "nur" Huckepack dabei mitreist. Virale Werbung wird nicht weitergeleitet, weil die Leute so begeistert von der Marke sind, sondern weil ihnen die Inhalte so viel Spaß machen, dass sie sie mit anderen teilen wollen.
An diesem Abschnitt fällt auf, dass die Unterscheidung zwischen Marketing und Werbung hier kaum durchgehalten wird. Letztlich sind das alles hauptsächlich kommunikative Ansätze, betreffen also vor allem das vierte P. Da bei Buzz, Evangelism und Influencers meistens mehr als "nur" die Kommunikation eine Rolle spielt, wird aber wohl der etwas breitere Begriff Marketing verwendet. Zweitens: Dass virale Werbung sich letztlich vom Produkt bzw. der Marke löst, ist genau der Grund, warum ich in meinen Vorträgen und Workshops grundsätzlich um Vorsicht mit dem Instrument werbe. Nur wer es wirklich versteht, den unterhaltsamen Content fest an die Marke zu binden, kann auch sicherstellen, dass ein erfolgreich verbreiteter viraler Clip (etc.) auch wirklich etwas bringt.
Warum sollten Marken den Umstand hinnehmen, dass sie in ihrer eigenen Kommunikation nur noch eine Nebenrolle spielen? Der Artikel nennt drei Gründe: Weil die Konsumenten die klassische werbliche Art der Produktpräsentation eh leid sind und die Marken nur noch als Huckepack erleben wollen. Weil zweitens die meisten Produkte nicht einzigartig genug sind, um selbst kommunikative Effekte dieser Art anzuregen - hier muss der interessante Content sozusagen die Marke mitreißen (ohne sie zu überlagern!). Und weil drittens diese Form der Kommunikation möglicherweise enorme Reichweiten erlaubt, also allein deswegen nicht außer Acht gelassen werden sollte. (Wobei sich das Targeting der viralen Kommunikation komplett der Kontrolle des Marketingunternehmens entzieht, was manchem auch nicht gefällt.)
Die drei menschlichen Motivationsfaktoren, die virale Werbung funktionieren lassen, sind laut Artikel: 1) Unterhaltung (Spiele, Spaß, Videos,...), 2) Habgier (hier läuft alles, was irgendwas Kostenloses verspricht) und 3) Hilfsbereitschaft/Angst (Hilfeaufrufe oder Warnungen, die weitergeleitet werden). Meiner Ansicht nach fehlt hier in jedem Fall noch das Thema Status bzw. Exklusivität - Leute leiten Informationen/Inhalte/Ideen auch dann weiter, wenn letztere glaubhaft knapp verfügbar, also exklusiv sind. Sie können sich damit als Insider ausweisen. So funktionieren ja oft virale Effekte in der Blogosphäre - wer etwas Exklusives weiß, will es möglichst schnell posten, um der erste zu sein.
Als nächstes berichtet der Artikel davon, dass viele virale Kampagnen niemals wirklich abheben und nicht die erhoffte exponentielle Verbreitung erreichen, die man sich erhofft. Andere heben ab, erreichen aber völlig falsche Zielgruppen. Eine eigene Kampagne von MarketingSherpa erreichte zwar große Nutzerzahlen, 95% lagen allerdings komplett außerhalb des Zielmarktes (professionelle E-Mail-Marketing-Verantwortliche). Wörtlich heißt es: "Nebenbei bemerkt, ist die Kampagne bei tschechischen Teens sehr angesagt." ;-)
Man muss also allein durch die Festlegung der Inhalte sehr darauf achten, wen man erreicht. Und das kann auch gelingen: Ein Freund von mir, der in der Klassikmusikszene in den USA gearbeitet hat, erzählte mir vor einer ganzen Weile begeistert von einem viralen Clip von Nike, der komplett in der Klassikmusikszene die Runde gemacht haben soll, da er einen Insider Witz über einen bestimmten prominenten Künstler unter dessen eigener Mitwirkung sehr unterhaltsam ausgeschlachtet hat. Leider hatte der Freund den Film nicht mehr, und ich habe eine Weile lang im Netz danach gesucht, ihn aber leider nie gefunden. Mit anderen Worten: das Targeting dieses Films über den Inhalt war offensichtlich so gut, dass andere Zielgruppen ihn nicht sehen konnten, selbst wenn sie wollten!
Mir ist abschließend noch wichtig, an etwas zu erinnern, was auch bei der Viral Marketing Konferenz in Köln ein Thema war: Wer heute meint, dass es ausreicht, einen coolen Film zu machen und den an fünf Freunde zu senden, der ist naiv. Das sind ganz rare Glücksfälle. Die Kanäle sind mittlerweile so übersättigt, dass es auch hier notwendig ist, im regelrechten Sinne "Media zu buchen". Spezialisierte Unternehmen kennen die Seiten im Netz, auf denen man potenziell virale Filme platzieren muss, um sie einem breiten, interessierten und begeisterungsfähigen Publikum zugänglich zu machen. Sie pflegen Beziehungen zu diesen Seitenbetreibern, bieten außerdem Tracking-Dienste an - also als Gesamtpaket und damit Dienstleistung. (Bei GoViral kann man sich das auf einem PDF ansehen.) Solche Unterstützung ist notwendig, um heute vernünftige Verbreitungsraten zu schaffen. Aber selbst dafür muss noch eine kreative Hürde genommen werden - denn auch diese Firmen gucken sich zunächst an, um was für Filme oder was für Inhalte es sich dreht. Und manche werden ganz einfach abgelehnt. Denn solche Dienstleister wollen sich ja auch nicht ihre Kontakte durch schlechte Filme verderben, die niemand interessiert.