In den vergangenen Tagen hatte ich die Gelegenheit, nach Paris und London zu reisen. In Paris habe ich u. a. Stéphane Allard, den Geschäftsführer und Mitinhaber der ersten französischen Buzz / Viral Marketing Agentur Spheeris getroffen und interviewt. Das Interview werde ich demnächst hier als PDF einstellen. In London habe ich mich u. a. mit James Cherkoff unterhalten, der das Manifest zum Open Source Marketing geschrieben hat.
Stéphane beleuchtete ein Detail, das ich sehr interessant fand. Als es darum ging, was seine Agentur eigentlich genau macht, bzw. wie man ihre Arbeit beschreiben könnte, wies er darauf hin, dass der Begriff "Mundpropaganda-Marketing" (Marketing Bouche-à-Oreille) eigentlich nicht ganz zutreffend sei. Denn, so Stéphane, in vielen Fällen sei der Einfluss des gesprochenen Wortes sehr viel weniger wichtig als ein anderer Faktor - die Imitation. Man kann von Leuten ein Produkt verbal empfohlen bekommen, muss damit aber noch nicht zu einem Käufer werden. Was jedoch oft sehr viel intensiver wirkt, ist, wenn man ein Produkt an Menschen beobachtet. Und diese dann durch Kauf imitiert. Dabei müssen die Beobachteten nicht unbedingt Bekannte sein. Ein Klassiker ist die Beobachtung eines interessanten Kleidungsstücks an einer anderen Person. Oder die Beachtung, die manches Auto findet, wenn es irgendwo geparkt wird. Stéphane sagte daher auch, dass Spheeris Unternehmen unter anderem darin berate, wie sie ihren Produkten ein stärkeres visuelles Ansteckungspotential verleihen könnten. Und dass er den Begriff Bouche-à-Oreille (Mundpropaganda) eigentlich zu vermeiden versucht, denn es gehe oft eben nicht nur um das, was "vom Mund ins Ohr" gesprochen wird.
Mit James habe ich neben anderen Dingen den merkwürdigen Konservativismus in der Werbe- und Kommunikationsindustrie besprochen. Wir waren uns darin einig, dass diese Branche, die für sich selbst eine enorme Innovationskraft reklamiert, eigentlich extrem konservativ ist. Denn in vielen, wenn nicht fast allen, Fällen findet die Innovation ausschließlich innerhalb des gewählten Mediums statt - wirklich innovativ über Kommunikation nachdenken wollen die wenigsten Werber. Sie wollen sich lieber im Rahmen eines gegebenen Mediums (TV-Spot, Poster, etc.) mit einer möglichst kreativ erzählten Minigeschichte auseinander setzen. Aber damit tun sie seit Jahrzehnten letztlich immer wieder das selbe.
James wies mich dabei auf einen interessanten Zusammenhang hin: wenn man die klassischen 4 P des Marketing in der historischen Entwicklung betrachtet, hat sich vor allem das P für Promotion erlaubt, so dermaßen konservativ zu sein. Nehmen wir die Automobilbranche als Beispiel. Die Produkte dieser Industrie haben sich in den vergangenen Jahren enorm verändert. Wer einen Golf 5 neben einen Golf 1 stellt, oder beide im Vergleich fährt, weiß, was ich meine. Beim Thema Place (also dem Umgang mit der Distribution) hat sich im Sinne des Inventory Management und der Zusammenarbeit zwischen Händlern und Automobilherstellern einiges getan, außerdem ist das Internet als neuer Vertriebskanal für (Gebraucht-)Wagen hinzu gekommen. Das Synchronisieren von Kommunikationsketten über digitale Kanäle, die Verwendung von Auktionsverfahren und andere moderne Techniken haben hier Einzug gehalten. Beim Preis könnte man wohl auch argumentieren, dass noch ein großes Stück Innovation kommen muss, um den modernen Kaufgewohnheiten gerecht zu werden. Aber am eklatantesten ist meiner Ansicht nach der Rückstand im Bereich Promotion (also Werbung und Kommunikation). Hätte sich der Umgang der Firmen mit diesem Marketing-Thema in ähnlich radikaler Weise verändert wie die Produkte selbst, dann bräuchte ich diesen Blog wohl nicht zu betreiben.
Aber ich bin davon überzeugt, dass die kommenden Monate und Jahre hier viel Änderung bringen werden. Sonst hätte ich wohl auch nicht meinen Agenturjob gekündigt... ;-)