Ich schreibe derzeit an einem Artikel für das britische Magazin Contagious (www.contagiousmagazine.com). Es soll darum gehen, innovative Marketingtrends in Deutschland zu beleuchten. Neben Viral/WOM/Mundpropaganda-Marketing beschreibe ich neue Trends in Bereichen wie Mobile Marketing, Markenerlebniswelten oder auch im Online-Bereich. Nicht fehlen darf natürlich dabei das Guerilla-Marketing. Meine Nachforschungen ergaben unter anderem: manche Guerilla-Marketing-Leute scheinen das Thema Mundpropaganda-Marketing als Unterthema ihres eigenen Feldes zu sehen.
Das ist aus meiner Sicht erstaunlich, denn ich sehe einen entscheidenden Mentalitätsunterschied zwischen Guerilla Marketers und Word of Mouth Marketers: für Guerilla ist letztlich jedes Mittel recht. Für WOM gilt das ganz und gar nicht. Auf dem Guerilla-Marketing-Portal findet sich unter Theorie die folgende Definition:
"Guerilla-Marketing ist die Kunst, den von Werbung übersättigten Konsumenten größtmögliche Aufmerksamkeit durch unkonventionelles bzw. originelles Marketing zu entlocken. Dazu ist es notwenig, dass sich der Guerilla-Marketer möglichst (aber nicht zwingend) außerhalb der klassischen Werbekanäle und Marketing-Traditionen bewegt."
Mit anderen Worten: wie kann ich meine Nachricht immer wieder neu und überraschend so verpacken, dass sie den Konsumenten - der eigentlich von den ganzen Werbebotschaften die Schnauze voll hat - doch erwischt?
Außerdem heißt es dort in einer Schaugrafik, dass Guerilla-Marketing einerseits mit Originalität arbeiten und andererseits mit geringen Budgets auskommen will.
Im Merriam-Webster Online Dictionary heißt es zu Guerilla: "a person who engages in irregular warfare especially as a member of an independent unit carrying out harassment and sabotage" - also: "ein Mensch, der irreguläre Kriegsführung betreibt, insbesondere als Teil einer unabhängigen Einheit, die schikaniert und sabotiert"
Ich fasse - polemisch - zusammen: Grundsätzlichen vom Ansatz her verwandt mit hinterhältigen Untergrundkämpfern, versuchen Guerilla-Marketers, die werbemüden Konsumenten auf Arten und Weisen mit Werbung zu erreichen, die diese nicht erwarten, denen sie also möglichst überrascht ausgeliefert sind. Und damit es funktioniert, werden keine großen Gelder benötigt, sondern abgefahrene Ideen.
Mit Verlaub: meiner Ansicht nach ist das in vielerlei Hinsicht das genau Gegenteil von Word of Mouth bzw. Viral Marketing. Aus zwei Gründen:
1) Echte Markenpflege kann man mit so einer Einstellung nur schwer betreiben. Marken müssen verlässliche Partner für die Konsumenten sein, die ihnen Entscheidungen erleichtern und eine Bereicherung für den Alltag darstellen. Das wird nur schwerlich gelingen, wenn man dafür eine Untergrundkämpfereinstellung an den Tag legt. Gutes Viral Marketing bzw. die gezielte Anregung von Mundpropaganda folgt immer dem klaren Ziel, die Marke "als Freund" in der zwischenmenschlichen Kommunikation zu verankern - indem sie Neuigkeiten bietet und eine Sprache spricht, die auf den Menschen eingeht - und nicht versucht, ihn zu übertölpeln.
2) Gutes Word of Mouth Marketing sucht und schafft den Dialog: Ein Blogger beschreibt das Unternehmen von innen und reagiert auf Kommentare. Ein viraler Film sorgt für so viel Unterhaltung, dass er massenweise weitergeleitet wird und Klicks auf eine Microsite erzeugt, wo der Konsument mehr über die Marke erfahren und in Dialog treten kann. Ein Alternate Reality Game vernetzt Menschen im Internet über Ländergrenzen hinweg und sorgt für intensive Auseinandersetzung mit der Marke. Ein Seeding-Projekt bindet ausgewählte "influential customers" in die Marketing-Aktivitäten ein - hört deren Feedback und schafft auf diese Weise einen "leisen Launch", bei dem Konsumenten nicht von unerwarteten Messages im Straßenbild überrascht werden, sondern wo die Nachricht über das neue Produkt durch informelle Kommunikation nur an die Leute weitergetragen wird, die sich auch wirklich dafür interessieren.
Das sind Beispiele für geglücktes Marketing mittels Mundpropaganda. Und das illustriert meines Erachtens, dass ein Guerilla-Ansatz und ein WOM-Ansatz nicht nur nicht verwandt, sondern letzten Endes etwas vollkommen unterschiedliches sind.
(Auch auf die Gefahr hin, dass ich nach diesem Post niemals zu einem Guerilla-Marketing-Kongress darf und von den entsprechenden Experten mit bösen Blicke gestraft werde... Wie gesagt, dies ist als polemische Stellungnahme gedacht, ich hoffe auf angeregte Diskussion. ;-)
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[Notiz 20.04.2005: Einen neuen Eintrag zu diesem Thema gibt es hier.]